Wo ist Pepe?
»Nun, ich hoffe, Ihr konntet letzte Nacht gut schlafen!«
Jetzt ist es wieder soweit. Macht es Euch also so richtig gemütlich, deckt Euch gut zu und seid nun ganz leise, denn wir begleiten Amira auf Ihrer Suche nach ihrem Sohn …
Während unsere fünf Burschen beim Frühstück saßen und gemeinsam darüber rätselten, wo denn dieser Pepe wohl stecken könnte, begann die Adlerdame langsam von einem Fuß auf den anderen zu treten. Amira wurde nervös.
Öseblöm stand auf und wandte sich seinen Freunden zu: »Ich glaube, wir müssen jetzt los. Keine Mama wartet gerne, wenn ihr Kind verschwunden ist!«
Kalle sprang spontan auf und rief: »Wir kommen mit, Öseblöm! Wir helfen Euch suchen.«
»Das ist ganz lieb von Euch«, antwortete Öseblöm, »aber Ihr könnt leider nicht fliegen, oder irre ich mich?« »Außerdem habt Ihr Euer Dorf wohl noch nie wirklich verlassen. Das ist zu gefährlich für Euch. Besser, Ihr geht Eurer Arbeit nach und Mallewutz und Balthasar gehen zur Schule. Heute Abend sehen wir uns dann wieder.«
Mallewutz, der zwischenzeitlich ins Haus zurückgegangen war, brachte Öseblöms Bogen und einen kleinen Rucksack, gefüllt mit einer kleinen Brotzeit für die Reise.
»Lass uns jetzt aufbrechen.« Amira drängte, denn sie wurde immer nervöser.
Öseblöm schwang sich auf den Rücken dieses mächtigen Adlers, nahm den Bogen und den Rucksack und winkte seinen neuen Freunden noch einmal zu. Dann startete die Adlerdame. Mit wenigen kräftigen Schlägen ihrer riesigen Flügel hoben sie sich in die Lüfte. Dabei verursachte Amira so viel Wind, dass alle Gläser und Tassen auf dem Frühstückstisch umkippten und durcheinander wirbelten.
Kalle, Malle, Dralle, Mallewutz und Balthasar winkten den beiden nach und wünschten ihnen viel Glück bei ihrer Suche nach Pepe. Nachdem sie den Tisch abgeräumt hatten, machten sie sich auf den Weg. Die beiden Kleineren zur Schule, die anderen Drei zu ihrem Feld. Mallewutz und Balthasar war nicht ganz wohl dabei, denn sie mussten wohl ihrem Lehrer noch eine Erklärung abliefern …
Trotz der Last auf ihrem Rücken, gewann Amira rasch an Höhe. Natürlich hielt Öseblöm von Anfang an Ausschau nach einem jungen Adler. Mit seinen scharfen Augen konnte aber auch er nichts ausmachen. Außer ein paar kleinen, weißen Wolken am Himmel und einigen Schafherden unter ihnen war einfach weit und breit nichts zu sehen, was auf einen Adler hingedeutet hätte.
Die beiden waren schon eine ganze Weile unterwegs, als Öseblöm plötzlich ausrief: »Ojeh!«
»Was ist, ojeh?«, fragte Amira, die sich mit ihrem Fluggast auf dem Rücken natürlich nicht umdrehen konnte. »Schau mich nur an«, sagte Öseblöm. »Wie soll ich das tun, mein Freund?«, entgegnete Amira. »Ojeh, ojeh.« Öseblöm wollte sich gar nicht beruhigen. »Ich habe meine Wanderstiefel vergessen!«
»Das macht doch nichts«, versuchte Amira ihren Freund zu besänftigen. »Wir sind ja heute Abend schon zurück, dann kannst Du Deinen Wanderstiefeln „Gute Nacht“ sagen.«
»Wenn sie dann noch da sind!«, zweifelte Öseblöm, der den witzelnden Unterton in Amiras Stimme einfach überhörte.
»Lass uns mal bei den Schafen dort unten nachfragen«, schlug Öseblöm vor. »Wegen Deiner Wanderstiefel?«, fragte Amira verblüfft. »Nein,« erklärte Öseblöm, »natürlich wegen Pepe. Vielleicht haben die etwas von ihm gehört …«
»Schafe sind dumm«, beharrte Amira. »Ich glaube kaum, dass die uns weiterhelfen können.«
»Meine liebe Amira, unterschätze niemals ein anderes Lebewesen«, riet Öseblöm seiner besorgten Freundin. »Vielleicht hast Du schon vergessen, wie Du einst über mich gedacht hast. Und jetzt sind wir sogar Freunde!« – »Also bitte – da unten ist ein guter Platz zum Landen; und nicht zu nah an der Herde, die hat sonst Angst vor Dir.«
Amira ließ sich nur unwillig in die Tiefe hinab und landete auf einem kleinen Felsen, nicht weit von der Schafherde. Öseblöm sprang herab und näherte sich vorsichtig dem Anführer der Herde, einem stattlichen Bock, der misstrauisch zu Amira herüberspähte.
»Guten Tag, mein Freund«, begrüßte Öseblöm den etwas mürrisch wirkenden Anführer. »Mein Name ist Öseblöm – von Öseblömhausen, Öseblöm, und ich bin auf der Suche nach einem jungen Adler, der vermisst wird.« – »Wir vermissen keinen Adler«, antwortete der Bock und wirkte dabei noch mürrischer als zuvor.
»Nun ja«, versuchte Öseblöm einen zweiten Anlauf. »Meine Freundin, da vorne, ist eine Adlermama und sie vermisst seit Tagen schon ihren Sohn.«
Der Bock schien nachzudenken, vielleicht ein wenig langsam, für einen ungeduldigen Menschen, aber er dachte so schnell er nur konnte. Schließlich sagte er: »Da drüben, in dem kleinen Wald, haben wir gestern auf einem Baum einen Adler gesehen. Der hatte einen Pfeil in seinem Popo und weinte fürchterlich …«
»Vielen Dank, mein nobler Herr«, antwortete Öseblöm und verabschiedete sich mit einer tiefen Verbeugung. Der Anführer der Schafherde fühlte sich geschmeichelt, ob dieser unerwarteten Höflichkeit. »Öseblöm,« dachte er, »ein Name, den man sich merken muss.« Damit ging er wieder zu seiner Herde zurück und gab Entwarnung.
Öseblöm aber eilte zu seiner Freundin. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. »Wir müssen sofort zu dem kleinen Wald da vorn«, drängte er. »Weißt Du etwa wo Pepe ist?«, fragte Amira ganz ungläubig. »Vielleicht,« antwortete Öseblöm, »aber wir sollten uns beeilen …« Für einen kurzen Augenblick schloss er seine Augen und atmete tief durch.
Die Augen schließen, das solltet Ihr jetzt auch, denn für heute heißt es wieder …
»Gute Nacht und schlaft recht schön, denn morgen wird es weiter gehen.«