Ein zorniger Busch …
»Ich hoffe Ihr seid schon bereit für die nächste Geschichte!«
Sicher wollt Ihr schon wissen, wie es weiterging. Schließlich wird man nicht alle Tage von einem zornigen Busch festgehalten. Also, hüpft jetzt ganz schnell in Euer Bett, macht es Euch wieder gemütlich und hört gut zu, denn jetzt erfahrt Ihr, wie es weitergeht …
Mittlerweile hatte der Busch nicht nur das kleine Schaf fest im Griff, sondern auch unseren Öseblöm. Von allen Seiten kamen nun kräftige Schlingen und versuchten unseren kleinen Wanderer zu fassen. An den Füßen, den Beinen, an seinen Armen, ja, sogar sein Bauch war auch schon fest umschlungen. Amira aber saß etwas abseits und schaute sich das Spektakel verwundert an. Öseblöm schien nämlich überhaupt keine Angst zu haben – ganz im Gegenteil!
Öseblöm lachte und lachte und wand sich dabei hin und her. »Hör endlich auf, lieber Busch, ich bin kitzelig«, rief er. Dabei ergriff er eine der Schlingen ganz sanft mit seiner Hand. Wie durch ein Wunder war der Busch ganz plötzlich nicht mehr zornig.
»Hast Du gerade lieber Busch gesagt?«, fragte das struppige Gewächs und hielt für einen Augenblick inne. »Aber natürlich,« antwortete Öseblöm, »und wenn Du mich los lässt, dann kann ich mich auch anständig vorstellen.«
Voller Verwunderung gab der Busch seinen Gefangenen frei. Das galt allerdings nicht für das Schäfchen. Dieses hielt er immer noch an den Beinen fest umschlungen.
Öseblöm trat nun einen Schritt zurück, verbeugte sich wieder wie ein Edelmann und sagte: »Guten Tag, mein kleiner Waldfreund, darf ich mich Ihnen kurz vorstellen. Mein Name ist Öseblöm, von Öseblömhausen, Öseblöm. Meine Freundin und ich sind auf der Suche nach einem jungen Adler.«
Der Busch war schon sehr erstaunt, ließ sich jedoch nichts anmerken. »Wie heißt Ihr?«, brummte er und versuchte dabei mit seiner Stimme richtig ärgerlich zu erscheinen.
»Öseblöm, von Öseblömhausen, Öseblöm«, antwortete unser Wanderer. »Und wie heißt Ihr, wenn ich fragen darf?«
»Ich heiße nicht, ich bin«, brummelte der Busch.
»Nun, dann sagt mir doch einfach, wer Ihr seid.« Öseblöm blieb ganz freundlich und lächelte.
»Ich bin nicht wer, ich bin was!«, raunzte der Busch unseren Freunden entgegen. Er machte keinen sehr gesprächigen Eindruck. Aber Öseblöm ließ nicht locker.
»Ja, und was bist Du?«, fragte Öseblöm. Langsam fand er Gefallen an diesem Gespräch.
»Das solltest Du wohl sehen können«, knurrte der Busch. »Ich bin Busch, ganz einfach, oder? Busch, Busch, Busch – nicht mehr und nicht weniger!«
»Na gut, Busch,« sagte Öseblöm, »und was tust Du hier?« Öseblöm ahnte bereits, was es mit dem Schäfchen auf sich hatte. Vermutlich gehörte es zu der Schafherde, deren Anführer ihm den Weg zu diesem Wald gewiesen hatte.
»Ich tue nicht, ich bin«, entgegnete ihm der Busch mit zittrigen kleinen Blättern.
»Aber Du hältst das kleine unschuldige Schäfchen gefangen!«, stellte Öseblöm nun fest.
»Nicht doch«, erklärte der Busch. Jetzt schien er sich richtig zu freuen. »Ich habe das kleine Lamm gerettet!« Und mit ein bisschen Stolz in der Stimme erklärte der Busch: »Das Schäfchen hatte sich im Wald verirrt. Ich habe es nur festgehalten, damit es nicht noch weiter in den Wald hineinläuft und gar nicht mehr nach Hause findet.«
»Das ist keine schlechte Idee«, fand Öseblöm. »Das verlorene Schaf kann wirklich Hilfe gebrauchen.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Wenn Du aber das Schaf fest hältst, so kann es niemals nach Hause kommen, oder?«
Der Busch war zutiefst erschrocken über diesen Gedanken. Plötzlich wurden alle seine kleinen Blätter rot, so als würde er sich schämen. Nach einem kurzen Zittern prasselten sie wie leichte Regentropfen zu Boden. Der Busch stand nun nackt und knorrig vor ihnen und ließ auch das kleine Schaf los.
»Das tut mir Leid. Das tut mir wirklich sehr Leid!«, entschuldigte sich der Busch. »Ich habe doch nur helfen wollen …« Das Schaf war inzwischen zu Öseblöm gesprungen und wich ihm nicht mehr von der Seite. »Glaub‘ ihm kein Wort!«, rief das Schaf. »Er hat mich einfach nur fest gehalten.«
Öseblöm betrachtete den Busch, wie er so knorrig und ohne Blätter vor ihnen stand. Dabei blickte er diesem Gewächs tief ins Herz und lächelte milde.
»Du bist nicht nur einfach BUSCH«, sagte Öseblöm und ging auf den armselig aussehenden Strauch zu. Unser Wanderer nahm eine der kraftlos aussehenden Schlingen in seine Hand und streichelte diese voller Zärtlichkeit. Der Busch antwortete mit einem leichten Zittern, das bis in seine tiefsten Wurzeln vordrang.
»Du bist ein FREUND, denn Du wolltest nur helfen und Du bist im Herzen gut.«
Wie durch ein Wunder begann der Busch wieder neue frische Blätter zu treiben und erstrahlte in hellem, saftigem Grün. »Ich bin FREUND,« sagte er, »FREUND BUSCH.« Dann gab er den Weg frei. Das dichte Gestrüpp machte überall Platz und bildete eine breite Gasse durch den Wald, so dass Amira, Öseblöm und das Schäfchen ungehindert weiterziehen konnten.
Den Busch konnten sie noch lange hören … »Ich bin BUSCH, ich bin FREUND BUSCH, ein buschiger FREUND. Ich bin BUSCH, ein freundlicher BUSCH, ein freundlicher FREUND, ja ich BIN …«
Für Euch liebe Kinder ist es nun Zeit zu schlafen. Denn Ihr wisst doch, jetzt heißt es wieder …
»Gute Nacht und träumt recht schön, denn morgen wird es weiter gehen.«