Die Bärenhöhle
»Seid Ihr auch schon so gespannt, wie wir?«
Dann lasst uns sogleich beginnen. Ihr wisst schon, für eine wirklich gute Gutenachtgeschichte geht man ins Bett. Deckt Euch daher gut zu und macht es Euch so richtig gemütlich, denn heute erreichen wir die Bärenhöhle …
Das kleine Eichhörnchen Betty war ganz aufgeregt. Das könnt Ihr Euch sicher vorstellen. Gerade noch war sie in einem Nest gefangen, um als Abendbrot eines riesigen Adlers zu enden. Doch schon einen Augenblick später wurde sie von ihren Verletzungen geheilt und sollte jetzt sogar von einem Adler in die Freiheit getragen werden.
»Vertrauen gegen Vertrauen«, sagte Öseblöm und half dem kleinen Eichhörnchen auf Amiras Rücken zu steigen. Betty strahlte vor Glück und konnte es kaum fassen, dass sie bald wieder nach Hause kommen sollte.
Amira nickte ihrem Freund kurz zu, dann schwang sie sich kurz in die Höhe, um danach sofort in einen steilen Sinkflug überzugehen. Das Eichkätzchen hielt seine kleinen Ärmchen fest um Amiras Hals geschlungen. Betty mochte gar nicht herunter schauen, da ihr richtig schwindelig wurde. Ein Eichhörnchen ist eben nicht zum Fliegen geboren.
Amira aber flog schnell und zielstrebig ins Tal hinunter und landete schließlich auf einem vereinzelten Baum, der an einem winzigen, einsamen See verweilte. Dort setzte sie die Kleine ab. Betty sprang mit einem freudigen Satz herunter und huschte am Stamm der prächtig gewachsenen Eiche nach oben, gleich zwei Äste höher, sodass sie Amira von oben auf den Kopf schaute.
»Lauf‘ nicht weg,« bat Amira, »bitte! Wir brauchen Dein Hilfe.« Amira machte eine kurze Pause, dann korrigierte sie sich: »ICH brauche Deine Hilfe.«
Betty bemerkte den Ernst in Amiras Stimme, aber ihre Freude über die wiedergewonnene Freiheit war so groß, dass sie zuerst einmal schnell auf ein paar Ästen auf und ab huschte. Dann kam sie aber zurück.
»Vertrauen gegen Vertrauen«, sagte Betty und lächelte überglücklich. »Jetzt hole Deinen Freund, ich warte hier auf Euch – großes Ehrenwort!«
Amira breitete ihre mächtigen Schwingen aus und startete in Richtung Gipfel. »Danke«, rief sie dem kleinen Eichhörnchen noch zu. Nachdenklich und ein wenig bang zog sie wieder große Kreise und ließ sich von den Winden in die Höhe tragen.
Öseblöm hatte es sich in der Zwischenzeit bequem gemacht. In dem ziemlich großen Nest lag unser Wanderer auf seinem Rücken und schaute den Wolken bei ihrem Tanz am blauen Himmel zu. Seine Beine baumelten völlig entspannt aus dem Nest heraus und mit einer fröhlichen Melodie auf den Lippen vertrieb er sich die Zeit bis zu Amiras Rückkehr.
»Ob den beiden wohl aufgefallen ist, dass sie miteinander sprechen konnten?« Öseblöm lächelte bei diesem Gedanken. Unser Held hatte dem Eichhörnchen vorsorglich die eigentlich schon verheilte Wunde mit einem kleinen Tuch verbunden. »Das sollte helfen«, dachte Öseblöm, und so war es dann ja auch.
Diesmal schien der Aufstieg auf den hohen Berg viel länger zu dauern. Amira war so ungeduldig, dass sie das Gefühl hatte, die Zeit würde unendlich langsam vergehen. Aber die Winde trugen sie, wie zuvor auch, stetig in die Höhe.
Endlich erreichte sie das Nest vom hohen Berg.
»Alles in Ordnung?«, rief Öseblöm, als die Adlerdame zur Landung ansetzte.
»Ich hoffe«, antwortete Amira. »Ich habe noch nie einem Eichhörnchen vertraut. Die sind immer so luftig, schnell und wieder weg.«
»So wie ein Adler?«, fragte Öseblöm.
»Nein,« antwortete Amira, »eher wie der Wind, den man nicht greifen kann.«
»Aber dem Du Dein Leben anvertraust«, erwiderte Öseblöm, der rasch wieder auf Amira Platz nahm. »Schließlich ist es der Wind, der Dich in die Höhe trägt, oder?«
So viele Gedanken waren einfach zu viel für unsere Adlerdame. Erneut breitete sie ihre Flügel aus und dann ging es auch schon hinab in die Tiefe.
Nach kurzer Zeit erreichten sie die einsame Eiche und landeten auf demselben Ast, auf dem Amira die kleine Betty abgesetzt hatte. Aber das Eichhörnchen war nirgends zu sehen. Öseblöm und Amira schauten sich um, aber Betty schien wie vom Erdboden verschluckt.
»Hab ich es Dir nicht gesagt?«, fragte Amira verärgert. Einen Moment schaute Öseblöm etwas ratlos drein, doch dann grinste er bis über beide Ohren.
»Vertrauen gegen Vertrauen“, hörten sie da das kleine Eichkätzchen. Betty saß auf einem Ast direkt über Amira und blickte auf die Adlerdame herunter.
»Wir sollten uns beeilen,« sagte Betty, »sonst ist es mit Pepe vorbei.«
Amira schaute erschrocken nach oben und war zugleich hocherfreut.
»Aber wo ist denn die Bärenhöhle?«, fragte sie.
»Nicht weit von hier,« antwortete das Eichhörnchen, »mitten in MEINEM Wald.« Damit huschte Betty vom Baum herunter und rannte in Richtung eines dunklen Waldes, der tatsächlich nicht weit entfernt schien. Das kleine Eichhörnchen mit den braunen Augen hielt Wort und führte unsere beiden Freunde durch den ziemlich dunklen Wald, bis an den Rand einer Lichtung. Dort standen sie nun am Eingang zu einer riesigen Höhle …
Ihr liebe Kinder, schließt aber jetzt Eure Augen, denn Ihr wisst ja, was jetzt kommt …?
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«