Die Befreiung
»Ich hoffe, Ihr konntet trotz der Aufregung gut schlafen …?«
Dann lasst uns keine Zeit verlieren. Ihr wisst ja, eine gute Gutenachtgeschichte hört man am besten in einem gemütlichen Bett …
»Oh je, oh je«, ertönte es wieder aus der Höhle. Jetzt hatte Pepe richtig Angst. Er konnte nichts sehen, aber er hörte die Worte des Bären sehr genau.
Öseblöm sah hoch hinauf zu diesem gewaltigen Bären, der immer größer zu werden schien. Er war sich sicher, dass sie Pepe befreien konnten, nur wusste er noch nicht so genau wie. Eine Idee musste her. Der Braunbär war so groß, dass Öseblöm tatsächlich nichts mit seinen Pfeilen ausrichten konnte.
Also musst er Zeit gewinnen. Sein eben noch freundliches Lächeln gefror zu Eis und aus seinen Augen blitzte es gefährlich. Keine Sekunde ließ Öseblöm den gefährlichen Riesen aus dem Blick.
Der Braunbär hatte sich jetzt zu seiner größten Positur erhoben und blickte verächtlich auf den mutigen Wanderer.
»Willst Du mich etwa daran hindern?«, brüllte der Bär mit einer Lautstärke, als wolle er den ganzen Wald einschüchtern. »Mach dass Du fort kommst, Du kleiner Wurm, sonst wirst Du meine Vorspeise!«
Wieder brüllte der Bär und es war wirklich Angst einflößend.
»Oh je, oh je«, tönte es immer noch aus der Höhle.
Der Braunbär ließ sich auf seine Vorderbeine sinken und fletschte jetzt bedrohlich mit den Zähnen. Eine Idee musste her und zwar schnell. Während Öseblöm noch darüber nachdachte, versuchte er den Bären hinzuhalten. Schließlich sprach er ja noch mit ihm.
»Du kannst mich überhaupt nicht fressen«, behauptete Öseblöm fest und hoffte, damit den Bären überraschen zu können.
Der richtete sich wieder zu seiner beeindruckenden Größe auf und schnaubte voller Verachtung: »Ich soll Dich nicht fressen können? Das ich nicht lache. Ich werde Dir jetzt zeigen, was der Herr des Waldes alles kann!«
Mit diesen Worten ließ er sich abermals auf seine Vorderfüße fallen und stürzte auf Öseblöm los.
»Der Herr des Waldes?«, dachte Öseblöm und erinnerte sich an Karun. Und da kam ihm auch schon die rettende Idee!
Doch nun musste er sich beeilen, denn der Braunbär setzte zum Angriff an. Blitzschnell sprang Öseblöm beiseite und hüpfte, wie auf einer Sprungfeder, um den Bären herum. Der griff bei seinem ersten Versuch ins Leere. Drehte sich dann auf der Stelle im Kreis und versuchte immer wieder unseren Öseblöm zu fassen. Unser Held aber war ziemlich schnell.
»Oh je, oh je«, ertönte es jetzt immer lauter aus der Höhle. Es geriet alles durcheinander.
Betty war mittlerweile auf einen Baum geklettert und saß nun hoch auf einem Ast direkt über dem tanzenden Bären. Amira wollte eingreifen, aber bei seinem letzten Sprung gab Öseblöm ihr ein Zeichen, dass sie noch hinter dem Gebüsch bleiben sollte.
»Was hat er nur vor?«, fragte sich die Adlerdame, die es jetzt wirklich nicht mehr aushielt. Aber sie erinnerte sich daran, dass Öseblöm schon so manch gefährliche Situation mit einer klugen Idee gemeistert hatte.
Als Öseblöm wieder direkt vor dem Eingang der Höhle landete, brüllte er so laut er nur konnte: »Sei ruhig, kein Wort mehr, Pepe!«
Dann war es still in der Höhle.
Jetzt grinste der Bär, denn er stand nun direkt vor unserem Freund. Es war ein gefährliches Grinsen. Öseblöm konnte nicht mehr zur Seite ausweichen.
»Nun hab ich Dich«, sagte der Bär und riss sein Maul ganz weit auf.
Unser Öseblöm aber lachte laut auf und sprang in die Höhe, trat dann mit einem Fuß dem Bären aufs Maul und benutzte es wie ein Sprungbrett, um über den Rücken des riesigen Kolosses mit zwei weiteren großen Sätzen den Rand der Lichtung zu erreichen und direkt neben Amira hinter dem Gebüsch in Deckung zu gehen.
Der Bär dreht sich um, so schnell er nur konnte, aber da war Öseblöm bereits verschwunden. Die Lichtung war leer. Pepe verhielt sich ruhig, ganz wie Öseblöm ihm geheißen hatte. Und das war auch gut so!
»Was hast Du nur vor?«, flüsterte Amira, die zwar froh war, dass ihr Freund dem Bären entkommen konnte, sich aber nun umso größere Sorgen um ihren Sohn machte.
»Weißt Du noch, was der Herr des Waldes gesagt hatte?«, fragte Öseblöm seine Freundin.
»Na klar,« antwortete sie, »das ist ja noch nicht so lange her. Er will Dich fressen!«
Öseblöm schaute verdutzt: »Nein,« sagte er, »ich meine nicht den Bären hier. Dieser Hohlklotz ist doch nicht der Herr des Waldes. Ich meine den HERRN DES WALDES …«
»Nein,« entgegnete Amira, »ich erinnere mich nicht. Und außerdem, ich habe sowieso kaum etwas verstanden von dem, was der Baum erzählte.«
Öseblöm lächelte wissend. »Für den Bären ist »dasselbe« das Gleiche …«, wiederholte unser Freund ganz langsam Karuns Worte. »Weißt Du, was das bedeutet?« – »Nein«, antwortete Amira knapp. »Ich weiß nur, dass der große Braunbär da vorne jetzt gerade in die dunkle Höhle geht, um meinen Pepe zu fressen.« – »Das wird er ganz bestimmt nicht!«, sagte Öseblöm mit fester Stimme. Amira hatte da noch ein paar Zweifel …
Tja, liebe Kinder, es ist Zeit. Für heute muss die Geschichte ruhen, genau wie Ihr. Doch morgen Abend, um die gleiche Zeit, hören wir uns wieder. Jetzt heißt es, wie immer:
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«