Das große Flüstern
»Ich hoffe, Ihr hattet einen schönen Tag und seid bereit, für die nächste Geschichte.«
Dann lasst uns nicht länger warten. Also, wie immer, gut zudecken, Augen zu und öffnet Eure Ohren, denn jetzt suchen wir gemeinsam den Zwerg, dessen Namen niemand kennt …
»Wenn niemand weiß, dass es Zwerge gibt, wie soll man dann wissen, wo sie wohnen?«, fragte Balthasar.
»Auch das ist eine gute Frage«, sagte Öseblöm und wiegte etwas nachdenklich seinen Kopf.
»Lasst uns jetzt erst zurück nach Hause gehen«, schlug er vor. »Ich glaube nicht, dass wir hier die Wanderstiefel noch einfangen werden.«
»Die sind jetzt bestimmt über alle Berge«, brummte Mallewutz. »Und ich bin schuld.«
Er machte sich wirklich Vorwürfe, dass er einfach so in Öseblöms Zimmer gegangen war … Aber die anderen Burschen kamen sofort zu ihm und nahmen ihn nacheinander in den Arm.
»Das konntest Du doch wirklich nicht wissen«, tröstete ihn Kalle und die anderen stimmten sofort mit ein. Öseblöm hingegen lächelte und meinte: »Findest Du nicht, dass dies hier bereits ein prächtiges Abenteuer ist? Und Du erinnerst Dich doch noch … ich sammle Abenteuer!«
»Du sammelst Abenteuer?«, rief Pimpi. »Papa, darf ich bitte mitgehen?«
Bauer Rums war einfach sprachlos. Ein fremder Wanderer, der mit Tieren sprechen konnte und Abenteuer sammelt. Wanderstiefel, die alles durcheinander bringen. Kühe, die plötzlich Rennpferde sein wollen. Das alles war ein bisschen zu viel für ihn.
»Nur bis zum Haus von Kalle und seinen Freunden. Aber nicht weiter«, entschied er schließlich und fügte augenzwinkernd hinzu: »Aber gib acht, dass Du nicht als Rennkuh wiederkommst …« Damit verabschiedete er sich von unseren Freunden, drehte sich um und verschwand wieder im Kuhstall, der noch ein bisschen Aufräumen vertragen konnte.
Die fünf Burschen, Öseblöm und Pimpinelle machten sich auf den Heimweg. Wieder durch die enge Gasse, vorbei an der Schule, die heute geschlossen war, zurück auf den Weg, den Mallewutz und Balthasar fast jeden Tag hinter sich brachten. Endlich erreichten sie die schöne Veranda. Auf dem Tisch stand noch immer das Frühstück ohne Milch und jetzt waren unsere Freunde so richtig hungrig.
Sogleich entspann sich wieder eine Diskussion, wie man denn den Zwerg finden könne. Die Idee, sich in einen Berg zu graben, wurde sogar von unseren Burschen verworfen. Sie konnten sich ja wirklich viel vorstellen, aber das erschien ihnen einfach sinnlos.
»Eigentlich müssten wir den Riesen fragen«, meinte Dralle. »Wir brauchen wenigstens einen kleinen Hinweis, wo wir mit der Suche beginnen könnten. Sonst sehe ich schwarz, was den Zwerg angeht.«
»Ich auch«, warf Malle ein. »Denn letztendlich ist der Zwerg noch nie in unserem Dorf gewesen. Daher glaube ich auch nicht, dass er sich je hierher verirren wird.«
»Und schon gar nicht jetzt«, ergänzte Mallewutz. »Unser Öseblöm braucht seine Wanderstiefel nicht irgendwann einmal, sondern jetzt.«
»Aber der Riese wohnt zu weit weg«, wandte Kalle ein. »Was hatte Öseblöm noch erzählt? Etwa 50 Tagesreisen von hier …«
»Ja,« seufzte Öseblöm, »aber 50 Tagesreisen mit Wanderstiefel, nicht ohne. Da dauert es mindestens doppelt so lange, wenn nicht länger.«
»Schade, dass Amira schon fort ist«, entfuhr es Balthasar mit Bedauern. »Die könnte uns helfen.«
»Das ist eine gute Idee«, rief Öseblöm und sprang vor Begeisterung auf. Unsere Burschen waren verblüfft.
»Aber Amira ist doch auch weit fort«, widersprach Kalle. »Und wir können auch sie nicht erreichen.«
Mit einem geheimnisvollen Leuchten in den Augen sagte Öseblöm: »Kommt mal mit.«
Er wartete nicht mehr auf die Freunde sondern verließ die Veranda und ging zielstrebig in Richtung des großen Feldes, auf dem unsere Burschen zuletzt gearbeitet hatten. Pimpinelle stand etwas ratlos da, aber Kalle nahm sie an die Hand und sagte: »Ich pass schon auf. Du bist ja bei uns.«
So folgten die Freunde unserem Wanderer und fragten sich, was Öseblöm jetzt vorhatte. Als sie das Feld erreichten, fanden sie Öseblöm schon über ein paar Feldblumen gebeugt. Unser Freund gab den Burschen ein Zeichen, jetzt ganz leise zu sein. Dann flüsterte er den Feldblumen etwas zu …
Plötzlich lag etwas Geheimnisvolles in der Luft. Die Feldblumen hörten zu und flüsterten ebenfalls. Sie gaben Öseblöms Nachricht weiter. Das Flüstern verbreitete sich … jede Pflanze und jedes Tier, welche die Nachricht hörte, gab sie an ihre Nachbarn und Freunde weiter. Das Flüstern schwoll allmählich an und erfüllte die Luft. Ja, wie es schien, trug sogar der Wind Öseblöms Botschaft freudig weiter. Pimpi und die fünf Burschen verstanden zwar kein Wort, aber sie konnten spüren, dass etwas Wunderbares geschah. Das große Flüstern breitete sich in Windeseile in alle Richtungen aus und ließ dann langsam wieder nach, bis es letztlich nicht mehr zu hören war.
»Was war das?«, flüsterte Balthasar, der noch immer Gänsehaut hatte.
»Nun müssen wir nur noch ein wenig Geduld haben«, erklärte Öseblöm. »In kurzer Zeit wird das ganze Land wissen, dass wir den Zwerg suchen, der Flöte spielt. Und irgendwo muss er ja sein.« – »Und wie erhalten wir die Antwort auf Deine Nachricht?«, wollte Mallewutz wissen, der auch noch ganz leise sprach. »Das werden wir dann sehen«, antwortete Öseblöm. »Wir können derweil ruhig zurück gehen und auf der Veranda warten. So lange wird es wohl nicht dauern, denke ich …«
Auch wenn die Antwort nicht so lange auf sich warten lässt, für Euch liebe Kinder ist es jetzt wieder soweit. Es ist Zeit, ins Traumland zu reisen. Denn hier heißt es nun:
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«