Amira greift ein
»Ich hoffe, Ihr hattet einen schönen Tag. Seid Ihr bereit?«
Dann heißt es jetzt, wie jeden Abend: bitte schön zudecken, richtig kuscheln, schließt Eure Augen und spitzt Eure Ohren, denn nun wollen wir uns anschauen, wie Dix und Dax zu ihrem Herrn zurückkehren.
Alle blickten verblüfft zu Amira, die immer noch ganz gelassen auf dem Verandazaun saß. Auch unser Öseblöm war verblüfft, allerdings hatte er die beiden Stiefel nicht aus den Augen gelassen.
Als sich nun Dix gleich mit ein paar Schritten auf Amira zu bewegte, packte Öseblöm die Gelegenheit beim Schopf. Ganz leise schlich er sich von hinten an Dax heran. Balthasar bemerkte Öseblöms Plan. Vielleicht schaute er etwas zu lange zu Dax herüber. Öseblöms Hand näherte sich ganz langsam. Nur noch wenige Zentimeter trennten ihn von seinem Stiefel. Da bemerkte Dax Balthasars Blick …, der Stiefel begann sogleich zu zittern.
»Niemals wieder werdet Ihr das Zwergenlied hören, so ist es und so wird es sein«, sagte Amira und zog damit wieder die Aufmerksamkeit auf sich.
»Warum?«, fragte Dix und hüpfte noch einen Schritt näher.
Öseblöms Hand war jetzt genau über Dax, als der sich gerade umdrehte und seinen Herrn bemerkte. Da griff unser Wanderer blitzschnell zu und packte sich seinen Wanderstiefel.
»Oh je, oh je, nun ists vorbee«, schrie Dax ganz weinerlich. Dix hingegen erstarrte und bewegte sich nicht mehr. Der aufregende Ausflug war für die Wanderstiefel beendet.
Öseblöm aber schlüpfte sofort in die Stiefel und sprang damit vor dem Haus herum. Mal links, mal rechts, dann nahm er kurz Anlauf und sprang mit einem Satz auf das Dach des kleinen Hauses und sofort wieder herunter.
Die fünf Burschen jubelten und klatschten laut Beifall. Bauer Rums und Pimpinelle lachten froh und Lavida und Handan fielen sich in die Arme. Also genaugenommen, fiel Lavida dem Riesen Handan in die Arme, denn der Größenunterschied war gewaltig. Aber die beiden hatten schon gelernt damit umzugehen.
Selbst Amira schien ein wenig zu lächeln.
Als sich nach einiger Zeit alles etwas beruhigt hatte, fragte Balthasar in die sich ausbreitende Stille: »Wieso dürfen die Stiefel das Zwergenlied niemals mehr hören?«
»Von dürfen habe ich nicht gesprochen«, antwortete Amira.
»Aber Du hast doch gesagt, die Stiefel werden das Zwergenlied niemals mehr hören«, warf Mallewutz ein, der auch nicht verstehen konnte, was Amira damit meinte.
»Es ist wohl mehr eine Frage des KÖNNENS«, erklärte Amira. »Der Zwerg wird es wohl nicht mehr spielen, dieses Lied.«
»Aber warum denn nicht?«, fragte nun Handan. »Hat er etwa seine Flöte verloren?«
Öseblöm spürte den Ernst in Amiras Stimme.
»Was ist passiert?«, fragte er deshalb. Knisternde Stille. Alles schaute wie gebannt zur Adlerdame.
»Als ich das große Flüstern hörte, dachte ich mir schon, dass es um die Wanderstiefel geht. Doch wegen ein paar davongelaufener Stiefel wäre ich nicht gekommen, ganz ehrlich.« Amira machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Ich hörte nämlich noch einiges mehr. Es wurde geflüstert, dass der Zwerg, den ihr sucht, in großen Schwierigkeiten steckt. Aber nachdem Ihr ja nun die Stiefel zurück habt, braucht Ihr Euch um den Zwerg nicht mehr zu sorgen …«
»Mein Freund steckt in Schwierigkeiten?«, fragte Handan.
»Das kann man wohl sagen«, antwortete Amira. »Aber man hört viel und nicht alles davon dürfte wahr sein.«
»Dann müssen wir Deinem Freund wohl helfen«, sagte Kalle, der sich schon das nächste Abenteuer ausmalte.
»Ja, helfen, helfen, helfen«, riefen Dix und Dax, aber sie bewegten sich nicht von der Stelle.
Öseblöm schaute an sich herunter auf seine Stiefel. »Ihr wollt auch helfen?«, fragte er und war ehrlich überrascht über seine Wanderstiefel.
»Wenn Du dem Zwerg hilfst, laufen wir auch niemals mehr weg«, versprach Dix und klang plötzlich ganz feierlich. »Ja, wir laufen niemals mehr fort!«, rief auch Dax, der sich immer noch ein bisschen ärgerte, dass er nicht aufgepasst hatte.
»Diskutiere niemals mit den Stiefeln«, warnte Handan und erinnerte seinen Freund an die wichtigsten Regeln.
»Aber auch ich möchte meinem Freund helfen«, erklärte der Riese von Wurzelbruck.
»Deshalb bin ich gekommen«, sagte Amira und wandte sich an Öseblöm: »Ich nehme an, Du wirst dem Zwerg auch helfen, auch wenn Du ihm noch nie begegnet bist, oder?«
»Ihr wisst doch, ich sammle Abenteuer«, antwortete Öseblöm mit einem verschmitzten Lächeln.
Jetzt meldete sich Bauer Rums zu Wort. Er räusperte sich ein wenig, bevor er begann: »Ihr wisst vielleicht, dass ich nur ein einfacher Bauer bin. Für Abenteuer bin ich nicht wirklich geschaffen und die Aufregung um Milly haben mir ehrlich gesagt gereicht.«
»„Aber ich bin kein einfacher Bauer«, rief Pimpinelle und stapfte kräftig mit einem Fuß auf. Das kleine rothaarige Mädchen war fest entschlossen, sich unseren Freunden anzuschließen. – »Diskutiere nicht mit kleinen Mädchen …«, sagte Handan und zwinkerte dabei freundschaftlich dem Bauern zu.
Hingegen ist es für Euch liebe Kinder jetzt wieder Zeit, ins Traumland zu reisen. Denn nun heißt es:
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«