… die unglaublichen Abenteuer des Herrn Öseblöm –
und seiner Freunde …

Aufbruch ins Unbekannte

»Seid Ihr bereit für das nächste Abenteuer?«

Dann heißt es jetzt wieder: gut zudecken, kuscheln, Augen bitte schließen und die Ohren ganz weit öffnen, denn nun reisen wir mit Kalle, dem ältesten der fünf Burschen zu seinem ersten, richtigen Abenteuer …

Kalle war noch niemals in seinem Leben über die Dorfgrenzen hinaus gegangen. Die Welt da draußen erschien ihm groß und unbekannt, ja irgendwie gefährlich. In seiner Fantasie hatte er sich alles Mögliche ausgedacht, aber nun saß er auf der Schulter eines stattlichen Riesen, der mit riesengroßen Schritten über das Land eilte und einem mächtigen Adler folgte, der in großer Höhe den Weg zeigte.

Das Dröhnen und Getöse der gewaltigen Schritte war noch meilenweit zu hören und versetzte Mensch und Tier in Angst und Schrecken. Unser Kalle hatte dafür jedoch keinen Sinn. Der Wind zerzauste sein Haar und er war viel zu sehr damit beschäftigt, sich festzuhalten.

»Du kannst jetzt ruhig etwas lockerer lassen«, sagte Handan. »Ich pass schon auf, dass Du nicht herunter fällst.«

»Bist Du sicher?«, zweifelte Kalle und krallte sich noch etwas fester. Es war ziemlich wackelig auf dieser breiten Schulter.

»Na klar,« antwortete der Riese, »schließlich habe ich jahrelange Erfahrung mit kleinen Menschen …«

So vergingen die Augenblicke und unser Kalle fasste nach und nach wieder Zutrauen zu sich und zu dieser neuen Erfahrung. Die Schulter des Riesen von Wurzelbruck war breit und kräftig und eigentlich fand Kalle, dass es wohl der sicherste Platz auf der Welt war, neben der Veranda vor seinem Haus.

Jetzt traute er sich auch, ein Blick auf die Landschaft zu werfen, die sie wie im Tiefflug durchschritten.

»Ich sehe die weite Welt!«, rief er voller Freude.

»Das freut mich für Dich«, sagte Handan. »Aber kannst Du auch Don Carlos sehen?«

Der Adler vom hohen Berg war plötzlich verschwunden.

»Da oben, hinter der Wolke«, sagte Kalle und deutete mit seiner Hand auf eine einzelne, weiße Wolke.

»Du kannst durch Wolken sehen?«, fragte der Riese, der mit einem Mal stehen blieb.

»Natürlich nicht,« antwortete Kalle, »aber Don Carlos muss hinter dieser Wolke sein. Es ist die einzige Wolke weit und breit. Ich sehe sonst nichts als blauen Himmel.«

»Don Carlos müsste wissen, dass wir nicht durch Wolken schauen können«, sagte Handan ein wenig vorwurfsvoll.

»Was ist, wenn er schon ganz woanders fliegt und wir ihn verpasst haben? Dann folgen wir womöglich einer kleinen weißen Wolke, die sich gemütlich vom Wind treiben lässt. Ich glaube nicht, dass wir so den Zwerg finden.«

»Und die Schafherde werden wir wohl auch nicht finden«, zweifelte Kalle und auf einmal kam ihm ein schrecklicher Gedanke: »Am Ende werden wir uns verlaufen und finden nicht mehr zurück. Und sieh nur, die Sonne geht gleich unter, dann wird es dunkel und wir können nichts mehr sehen.«

In diesem Augenblick wünschte sich Kalle sehnsüchtig zurück auf seine gemütliche Veranda, zu seinen vertrauten Freunden. Tatsächlich stand die Sonne bereits tief am Horizont und tauchte die Landschaft in ihr rotgoldenes Licht.

»Bis zum Abend sollten wir bei der Schafherde sein«, sagte Handan und setzte sich langsam wieder in Bewegung. Dabei folgten sie der kleinen, weißen Wolke. Don Carlos musste einfach hinter dieser Wolke sein! Wo hätte er sonst sein sollen? An diesem wunderschönen Abendhimmel war weit und breit nichts weiter zu sehen, als diese Wolke …

Kalle begann sich richtig Sorgen zu machen. Da wollten sie jemandem helfen, den sie überhaupt nicht kannten, und schon waren sie selbst in Schwierigkeiten.

»Du bist so still, mein Freund?«, fragte Handan, der spürte, dass unseren Burschen etwas bedrückte.

»Ich habe Angst«, erklärte Kalle, der sich nicht mehr ganz wohl in seiner Haut fühlte.

»Nein, nein, lieber Kalle«, beruhigte ihn der Riese. »Das ist keine Angst. Wirkliche Angst fühlt sich anders an. Außerdem gibt es keinen Grund sich Sorgen zu machen, es sei denn, Du sorgst Dich um unseren Zwerg. Ich hoffe, dass wir nicht zu spät kommen.«

»Aber, was, wenn wir uns verlaufen und Don Carlos verschwunden bleibt?«, entgegnete Kalle.

»Bis jetzt habe ich noch immer meinen Weg zurück gefunden«, beschwichtigte Handan seinen bangen Begleiter.

»Ja, nach Wurzelbruck!«, wandte Kalle ein. »Aber findest Du auch zu meinem Haus zurück?«

Handan schaute etwas verwundert drein. Immer wieder glitt sein Blick über den Abendhimmel. Eigentlich sollten sie schon ganz in der Nähe der Schafherde sein.

Schlagartig kam Kalle ein Gedanke: »Vielleicht haben Deine lauten Schritte die Schafherde in Angst versetzt und vertrieben?«

Im gleichen Moment hatte auch Handan diese Bedenken. Ruckartig blieb er stehen und lauschte.

Stille. Es war nichts zu hören.

Ja, auch die Tiere in der Umgebung schwiegen, denn schließlich kommt es nicht alle Tage vor, dass ein richtiger Riese an ihnen vorbeizieht. – »Oh nein!«, rief Handan. Kalle schaute sich erschrocken nach allen Seiten um. »Wa, wa, was ist los?«, fragte er stotternd. »Sieh nur«, sagte der Riese und deutete auf die kleine, weiße Wolke, die sich langsam in Luft auflöste. Sieh gab den Blick frei auf den strahlenden Abendhimmel, der unberührt die Nacht ankündigte.

Für Euch liebe Kinder, ist es jetzt auch wieder soweit. Denn nun heißt es, wie jeden Abend:

»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«