Zwerg im Berg
»Hattet Ihr einen schönen Tag?«
Dann lasst uns den Tag mit einer schönen Geschichte beenden. Also aufgepasst. Bitte wieder schön kuscheln, die Augen schließen und die Ohren ganz weit geöffnet halten. Ach ja, vielleicht solltet Ihr Eure Herzen auch ganz weit machen, denn jetzt begeben wir uns wieder zu unseren Freunden im Zauberwald …
Öseblöm und Amira schritten wieder den schmalen Pfad entlang, den sie zuvor gekommen waren.
»Jetzt hast Du keinen Hut mehr und Karun haben wir auch nicht gefunden«, lästerte Amira, die nicht sehr erbaut darüber war, zu Fuß hinter ihrem Freund herzuwatscheln.
Öseblöm war tief in Gedanken versunken und achtete nicht darauf. Seine Eltern sind hier gewesen, in diesem Wald, wenn auch vor langer Zeit.
»Am Ende wollen wir erst einmal den Zwerg finden, nicht wahr«, erinnerte er seine Freundin an ihr eigentliches Abenteuer. »Wenn uns Karun dabei helfen kann, soll es mir recht sein.«
»Sie haben ihn nicht geschlagen. Sie sind Freunde, echte Freunde …«, wieder ertönte dieses Flüstern hinter ihrem Rücken, getragen von einer warmen Brise, die die Nachricht von Baum zu Baum und von Ast zu Ast trug.
Endlich erreichten unsere Freunde den freundlichen Busch. Der hatte mittlerweile alle seine Blätter wiederbekommen, die erneut in allen Regenbogenfarben leuchteten.
»Ah!«, rief der Busch, als er Amira und Öseblöm kommen spürte. »Die Freunde sind da, das ist wunderbar, denn echte Freunde, die sind rar.«
Öseblöm musste unwillkürlich lächeln, als er dies hörte.
»Hallo, mein Freund«, begrüßte er den Busch, der nun zu einem saftigen Grün zurückgefunden hatte. »Vielen Dank noch mal für Deine Hilfe«, sagte Öseblöm und wollte schon weitergehen.
»Gerne«, antwortete der Busch. »Gerne will ich Dein Zwerg sein, falls ihr ihn nicht findet.«
Unser Wanderer fuhr herum. »Mein Zwerg?«, fragte er.
»Ja, denn ich bin ein zwergiger Busch, ein buschiger Zwerg, aber nicht im Berg. Der Zwerg ist im Berg, aber nicht im Busch. ICH bin ein buschiger ZWERG; ein zwergiger Zwerg, nein, ein zwergiger BUSCH …«
»Wir sollten uns beeilen«, riet Amira kopfschüttelnd.
»Ja,« sagte Öseblöm, »vielleicht ist der Zwerg tatsächlich in einem Berg gefangen und steckt in einer Falle.«
»Falle!«, rief da der Busch. »Ja, ich bin ein falliger Busch, eine buschige Falle, ein falliger Freund. Ich bin Busch, eine freundliche Falle …«
Auch unser Öseblöm schüttelte jetzt den Kopf. Sie schritten wieder voran und ließen den Busch hinter sich.
Bald darauf erreichten sie die Eule, die noch immer mit geschlossenen Augen auf ihrem Ast saß. Diesmal schenkte Öseblöm ihr keine Beachtung. Zusammen mit Amira schritten sie unter dem Ast entlang und folgten dem Pfad zurück zum Eingang des Waldes.
»Wer da und wohin? Und bleibe er auf jeden Fall stehen!«, rief da die Eule, die nun ihr rechtes Auge geöffnet hatte.
Unsere Freunde blieben kurz stehen und wandten sich der alten Eule zu.
»Ah, meine Freunde! Habt Dank«, sagte da die Eule.
»Wofür bedankt Ihr Euch?«, wollte Öseblöm wissen.
»Danke für Euer großzügiges Geschenk. Ein Geschenk, das wahrlich von Herzen kommt«, entgegnete die Eule. Mittlerweile hatte sie auch ihr linkes Auge geöffnet.
»Du hast damit dem ganzen Wald und all seinen Bewohnern eine große Freude bereitet.«
Öseblöm verneigte sich höflich und sagte: »Wir müssen nun weiter, liebe Eule. Unser Freund, der Zwerg, ist in Gefahr. Wir sind auf der Suche nach ihm, um ihm zu helfen.«
»Ihr sucht Dalin, den Zwerg?«, fragte die Eule.
»Wir kennen seinen Namen nicht«, antwortete Öseblöm.
»Ich kenne nur einen Zwerg«, antwortete die Eule. »Und der steckt im Berg, wie man so hört.«
»In welchem Berg?«, mischte sich Amira ein.
»Geht zum Eingang des Waldes und fragt Karun!«, empfahl die Eule.
»Und Ihr wisst ja, haltet Euch links …«
»Wir wissen, wo links ist«, rief Öseblöm und machte sich mit Amira wieder auf den Weg.
»Sie wissen, wo links ist«, seufzte die Eule und ließ ihre Augenlider wieder herunterfahren, wie die Jalousien an einem Fenster.
»Aber wissen sie auch, wo rechts ist?«, dachte sich plötzlich die Eule. »Was, wenn sie nicht wissen, dass rechts nicht da ist, wo links ist.« – »Wisst Ihr auch, wo rechts ist?«, rief sie unseren Freunden hinterher. »Ihr müsst Euch unbedingt links halten! Sobald Ihr wisst, wo rechts ist, müsst Ihr genau in die andere Richtung, denn da ist Links, wisst Ihr? Das ist ganz wichtig. Ihr müsst unbedingt nach links und nicht nach rechts …«
Ihr liebe Kinder dürft Euch jetzt nach rechts oder nach links drehen, ganz wie Ihr wollt, denn dort wartet bereits das Traumland auf Euch … Darum heißt es nun:
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«