Tor zum Licht
»Seid Ihr bereit für die nächste Geschichte?«
Dann lasst uns nicht länger warten, denn unsere Freunde warten schon auf Euch. Deckt Euch also bitte wieder gut zu, schließt ganz fest Eure Augen und spitzt Eure Ohren. Ihr wisst ja, nur so könnt ihr alles gut beobachten …
Maries Popo blitzte noch immer aus dem dichten Gebüsch heraus und wackelte lustig hin und her. Na ja, Marie fand das Ganze überhaupt nicht lustig, denn sie versuchte nur, sich zu befreien.
Als sie Öseblöms Stimme vernahm, jubelte sie innerlich und hätte fast einen Freudensprung getan, aber noch hielt der Busch sie streng in seinen Fängen.
Öseblöm griff nun ein, faste nach den einzelnen Zweigen und half mit sanftem Druck etwas nach.
»Nun gib schon meine Freundin frei«, forderte er den Busch nochmals auf.
Das mächtige Gebüsch gab nach. Endlich konnte Marie wieder frei herumlaufen. Sie schüttelte sich, als ob sie voll von Staub und Schmutz wäre.
Sofort kam Amira unserem Schäfchen zu Hilfe.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte sie. »Wir sind ja bei Dir.«
»Was hast Du Dir eigentlich dabei gedacht, so allein in die Wildnis zu laufen?«, fragte Öseblöm mit einem leisen Vorwurf in der Stimme. »Weißt Du eigentlich, dass wir uns große Sorgen um Dich gemacht haben? Was meinst Du, was alles hätte passieren können?«
»Lass gut sein, Öseblöm«, mischte sich Amira jetzt ein. »Es ist ja noch mal alles gut gegangen.«
»Nein, ist es nicht!«, rief jetzt Marie. »Unsere Freunde sind in der Höhle verloren und sie haben kein Licht dabei. Ohne Licht können sie den Berg aber niemals durchqueren. Wir müssen ihnen zu Hilfe kommen, aber der Busch lässt mich nicht hinein. Ich weiß aber, dass unsere Freunde hier waren. Seht doch nur die Fußspuren.«
Das kleine Schäfchen sprudelte geradezu über und wollte einfach nicht mehr aufhören.
»Es ist alles gut«, sagte Öseblöm und strich dem Schäfchen beruhigend über den Kopf.
»Ich schlage vor, dass Du jetzt wieder zu Deiner Herde zurückkehrst«, sagte Öseblöm. Dann schaute er bittend zur Adlerdame und fuhr fort: »Amira wird Dich begleiten und auf Dich aufpassen.«
»Und was machst Du in der Zeit?«, fragte Amira.
»Ich werde unseren Freunden durch die Höhle folgen. Wir beide treffen uns später auf der anderen Seite des Berges. Wir dürfen jetzt keine Zeit mehr verlieren, wenn wir den Zwerg finden wollen. Aber ich möchte nicht, dass die kleine Marie noch einmal so allein durch die Wildnis spaziert.«
Amira überlegte einen Moment.
»Ich helfe gern, lieber Freund«, sagte sie dann. »Aber Du weißt schon, dass normalerweise Schafe und Adler nicht miteinander reden können?«
Öseblöm lächelte, er hatte verstanden. Mit einer Hand wühlte er in seiner Hosentasche und holte eine kleine Schnur hervor. Diese band er seiner Freundin um ihren linken Fuß.
»So, jetzt könnt Ihr auch ohne mich miteinander reden«, sagte er. »Aber ich möchte die Schnur wieder zurückhaben, sobald wir uns auf der anderen Seite wiedersehen.«
»Und ich habe hier vielleicht gar nichts mehr zu sagen?«, fragte Marie, die eigentlich fest entschlossen war, ebenfalls in die Höhle zu gehen.
»In diesem Fall nicht, mein Kleines«, sagte Öseblöm und gab Amira das Zeichen zum Aufbruch. Die Adlerdame erhob sich in die Lüfte und kreiste in niedriger Höhe, um auf Marie aufzupassen. Das Schäfchen verabschiedete sich und folgte wieder den Spuren des Riesen, nur diesmal in die andere Richtung …
Öseblöm jedoch trat an den Busch heran und bat um Einlass.
Das dichte Gebüsch gab mit einem kleinen Zittern den Weg frei, wie zuvor auch bei Kalle und dem Riesen. Marie blickte ein letztes Mal zurück und sah noch für einen kurzen Augenblick, wie unser Öseblöm den majestätischen Eingang zur vergessenen Höhle betrat. Nach wenigen Schritten war der Wanderer in der Dunkelheit verschwunden und der riesige Eingang versteckte sich wieder hinter einem dichten Buschwerk.
***
Genau zu diesem Zeitpunkt erreichten Kalle und Handan die andere Seite der Höhle. Direkt vor Ihnen stellte sich eine massive Felswand in den Weg. Die Höhle war hier zu Ende. Kasran, aus dem Lichtvolk, hatte sie bis hierhin geführt.
»Mein Weg endet hier«, sagte er und sein Antlitz leuchtete und glitzerte in vielerlei Farben.
»Unserer auch«, stellte Handan fest. »Hier geht es ja nicht weiter. Ich dachte, es gäbe wenigstens einen kleinen Eingang.«
»Ja genau«, stimmte Kalle mit ein. »Wenigsten ein Loch in der Wand, durch das man hindurchkriechen könnte. Meinetwegen auch versteckt hinter einem Busch oder einem kleinen Felsen. Am trefflichsten wäre allerdings eine Tür …« Auch Kalle konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie hier aus der Höhle herauskommen sollten.
Kasran lächelte wissend und trat auf die Felswand zu. Dann legte er seine leuchtende rechte Hand auf die Wand. Das Licht seiner Hand strömte in die Felswand und breitete sich dort aus. In der Felswand entstand ein riesiges Tor aus Licht. Dann wurde die Felswand gläsern und wandelte sich schließlich ins Nichts. Kalle und Handan verabschiedeten sich und schritten durch das Tor in die Freiheit.
Ihr liebe Kinder dürft jetzt auch durch ein Tor schreiten und träumen … Darum heißt es jetzt:
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«