Freunde in Not
»Ich hoffe, Ihr seid schon bereit?!«
Dann sollten wir nicht länger zögern, denn unsere Freunde brauchen Eure Unterstützung. Also bitte gut zudecken, macht es Euch so richtig kuschelig. Danach schließt bitte die Augen und haltet Eure Ohren offen, damit Ihr auch nichts verpasst, denn gerade jetzt, in diesem Augenblick …
… stürzen Kalle und Handan in die Tiefe!
Die beiden Adler kamen pfeilschnell herangeschossen, aber es war zu spät. Außerdem hätte ihre Kraft nie gereicht, den Riesen von Wurzelbruck aufzufangen.
Kalle verlor den Halt, purzelte von Handans Schulter und stürzte seinen eigenen Weg hinab.
»Aaah«, schrie Handan und versuchte noch, sich irgendwo mit einer Hand festzuhalten, aber er griff in lockeren Erdboden, der sofort nachgab. Mittlerweile war Amira gelandet. Öseblöm sprang mit einem Satz an den Rand des Abgrundes und packte beherzt zu.
Handan ergriff seine Hand, aber das Gewicht des Riesen war einfach zu groß. Jetzt geriet auch Öseblöm ins Rutschen. Der Boden gab nach und schneller als Amira schauen konnte, fiel auch unser Wanderer in die dunkle Tiefe.
Irgendwann gab es ein dumpfes Geräusch. Kein Aufschrei, kein Hilferuf. Der knochige Baum zuckte einmal kurz zusammen. Sonst war nichts zu bemerken.
Amira und Don Carlos standen am Rand dieses unermesslich tiefen Lochs.
»Und was nun?«, fragte Amira.
»Ich weiß auch nicht«, antwortete Don Carlos.
»Wir müssen zuerst feststellen, wie tief es hinunter geht«, sagte die kleine Betty. Sie war die Einzige, die einen kühlen Kopf bewahrte.
»Und wie willst Du das machen?«, fragte Don Carlos. »Willst Du hinunterspringen?«
Betty schüttelte ihren Kopf. »Nein«, antwortete sie. »Wir werfen einen kleinen Stein in das Loch und dann zählen wir die Sekunden, die der Stein braucht, um unten anzukommen.«
»Gute Idee«, sagte Amira. »Und wenn wir einen unserer Freunde damit treffen, brauchen wir den nicht mehr hochholen!«
Betty schaute verärgert zur Adlerdame. Verließ den sicheren Rücken »ihres« Adlers und suchte nach einem kleinen Steinchen. Das warf sie ganz weit in die Mitte dieses schwarzen Lochs.
»Psst«, sagte sie und zählte … »drei, vier, fünf, … siebzehn, achtzehn, neunzehn, zwanzig …«
Es war nichts zu hören. Kein noch so leiser Aufprall am Boden. Die drei Freunde tauschten besorgte Blicke aus.
»Wenn der Boden voller Schlamm ist, würden wir auch nichts hören«, sagte Don Carlos in die Stille.
»Und wie kommen wir jetzt da runter?«, fragte Amira. »Ich bin doch kein Kolibri. Adler können nicht auf der Stelle fliegen.«
»Gar nicht«, ertönte überraschend eine knochige Stimme in ihrem Rücken.
Unsere drei Freunde fuhren herum. Es war der alte Baum, der zu ihnen gesprochen hatte. Auf seinem Stamm erschien ein altes verwittertes Gesicht.
»Aber wir müssen unseren Freunden helfen«, drängte die kleine Betty.
»Das könnt ihr nicht«, stellte der Baum mit stoischer Ruhe fest.
»Bis jetzt ist Euren Freunden noch nichts passiert«, erklärte er. »Ich konnte sie mit einer meiner Wurzeln auffangen. Sie liegen nun auf einem kleinen Felsvorsprung. Scheint ein dichtes Gedränge da unten zu sein.«
»Ist der Zwerg etwa auch da unten?«, fragte Don Carlos.
Der Baum schien nachzudenken.
»Ja, ja«, sagte er. »Der Winzling liegt schon lange da.«
»Kannst Du unsere Freunde nicht hochziehen?«, fragte Amira. »Wenn Du sie mit Deinen Wurzeln doch fangen konntest.«
»Ich bin alt und schwach, liebe Adlerdame«, antwortete der Baum und in seiner Stimme zitterte das Alter von vielen Hundert Jahren. »Bald schon werde ich auch in diese Tiefe stürzen. Sie wartet schon auf mich.«
»Kalle hat doch ein Seil dabei.«, überlegte Amira.
»Ja, aber ist das auch lang genug?«, fragte Betty.
»Er hat die Sonne damit eingefangen!«, antwortete die Adlerdame.
»Das sollte doch reichen«, meinte Betty und langsam reifte eine Idee in ihrem kleinen Köpfchen.
Don Carlos wollte nicht länger warten. Er breitete seine Flügel aus und hob kurz ab, dann kreiste er über dem Loch. Kaum war er darüber, rief er in die Tiefe: »Kalle, Öseblöm! Könnt Ihr mich hören?« Aber außer dieser schwarzen Stille war nichts zu hören.
»Ihr müsst Euch beeilen«, sagte plötzlich der Baum. »Der Riese ist zu schwer. Er wird sie alle in die Tiefe reißen.« Amira erschrak. Don Carlos kehrte zurück und landete wieder bei seiner kleinen Freundin Betty. Das Eichhörnchen dachte angestrengt darüber nach, wie sie heil in die Tiefe kommen könnte, um das Seil zu holen. Dann müssten sie es nur noch an dem Baum befestigen …
Auf Euch liebe Kinder warten nun die süßesten Träume. Darum heißt es jetzt:
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«