Wundersame Rettung
»Ich hoffe, Ihr hattet einen schönen Tag?!«
Den sollten wir jetzt beschließen, mit einer richtig guten Gutenachtgeschichte. Dazu müsst Ihr wieder Euren Teil beitragen, also bitte gut zudecken, Augen schließen und die Ohren spitzen. Seid wachsam und passt gut auf, denn jetzt begeben wir uns wieder zu unseren Freunden, an den schwarzen Abgrund …
»Ihr müsst Euch wirklich beeilen!«, rief der Baum und machte einen verzweifelten Eindruck.
Betty schaute sich um, trat nah an den Abgrund heran und blickte in die schwarze Tiefe. Sie suchte nach einer Möglichkeit zu klettern, denn schließlich konnte sie als Eichhörnchen auch an Bäumen ohne Probleme heraufklettern. Hier aber konnte sie durch die Dunkelheit in der Tiefe einfach nichts erkennen.
»Es hat keinen Zweck, Betty«, sagte Don Carlos. »Wir dürfen uns nicht auch noch in Gefahr begeben.«
»Ich werde Öseblöm niemals allein lassen!«, rief Betty und tat einen Schritt nach vorn in die Tiefe.
Sie versuchte es …, fand jedoch keinen Halt, rutschte, fiel auf ihren Popo, und bevor Don Carlos die Kleine zu fassen bekam, purzelte auch sie in die Tiefe.
»Ich sagte zwar, Ihr sollt Euch beeilen«, murrte der knochige Baum. »Aber doch nicht so!«
***
Bis auf Handan lagen alle unsere Freunde auf einem kleinen Felsvorsprung und jetzt auch die kleine Betty. Der Riese von Wurzelbruck hatte im Fallen versucht nach allem zu greifen, um den Sturz zu stoppen. Dabei erwischte er im letzten Moment den Rand des Felsvorsprungs. So hielt er sich mit einer Hand daran fest und schwebte über der gefährlichen Tiefe.
»Seid Ihr unverletzt?«, fragte Öseblöm, dem es auch schwerfiel, sich in der Dunkelheit zu orientieren.
»Ein paar blaue Flecken werde ich wohl davon tragen, aber sonst geht es mir gut«, antwortete Kalle.
»Mir auch«, sagte Betty.
»Mir nicht«, rief Handan. »Ich werde mich nicht mehr lange halten können. Der Felsen gibt gleich nach! Ist denn wenigstens der Zwerg bei Euch?«
»Ja,« sagte Öseblöm, »aber er scheint verletzt zu sein. Er regt sich nicht.«
»Dann sind wir zu spät gekommen?«, fragte der Riese.
»Nein«, beruhigte das Eichhörnchen. »Er atmet noch.«
»Und wie kommen wir jetzt wieder herauf?«, fragte Kalle. »Ich hätte mein Seil oben lassen sollen.«
»Das ist eine gute Idee«, lachte Handan. »Wenn Du das nächste Mal in eine Falle stürzt, legst Du Dein Seil vorher ab.«
»Ich finde das überhaupt nicht lustig«, schimpfte Betty. »Ich habe auch schon an das Seil gedacht.«
»Ja, aber es muss eine andere Lösung für uns geben, denn der Felsen bricht gleich. Er kann mich nicht halten. Ich bin zu schwer«, rief Handan.
Er dachte einen Augenblick über ihre Situation nach.
Dann sagte er: »Ich glaube, wir müssen nun Abschied nehmen. Ich werde jetzt loslassen, damit Ihr eine Chance habt. Ich hab Euch alle sehr lieb!«
»Warte!«, rief Öseblöm. »Wie mir scheint, ist es noch nicht so weit.«
Vor seinen Augen tanzte ein winzig kleiner Lichtpunkt …
Jetzt sah auch Kalle den Leuchtpunkt, der nun vor seinem Gesicht freudig auf und nieder tanzte.
»Was macht Ihr nur für Sachen …?«, summte der Lichtpunkt.
»Kasran?«, fragte Kalle und seine Stimme zitterte ein wenig.
In diesem Augenblick zerbarst der Felsvorsprung in tausend Stücke und unsere Freunde purzelten weiter in die endlose Tiefe. Doch aus dem einen Lichtpunkt wurden zwei, dann drei, dann vier.
Während unsere Freunde immer tiefer fielen, entstand mitten unter ihnen ein gewaltiges Lichtermeer. Millionen von Lichtpunkten verschmolzen zu einer großen Wolke, die unseren Freunden wieder Halt gab und den Sturz beendete.
Die Gefährten landeten sanft auf der Lichtwolke, die langsam mit ihnen emporstieg.
Oben saßen Don Carlos und Amira noch immer etwas ratlos. Sie trauten ihren Augen nicht, als sie ihre Freunde auf der Wolke aus Licht sahen. Doch als diese das Tageslicht erreichten, verschwand die Wolke und ward nicht mehr zu sehen. Dennoch trug sie die Abenteurer sicher, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten.
»Seit wann könnt Ihr fliegen?«, fragte Amira, die ungläubig ihre schwebenden Freunde betrachtete.
»Gott sei Dank!«, rief Don Carlos, der schon alles verloren glaubte.
»Da habt Ihr aber mächtige Freunde«, sagte der knochige Baum, der das Schauspiel ebenfalls mit großem Interesse verfolgte.
Kasran war nicht mehr zu sehen. Aber Öseblöm wusste, dass er noch anwesend war. »Danke«, sagte er leise. »Ihr seid immer willkommen«, antwortete eine summende Stimme aus dem Nichts …
Das Traumland heißt Euch nun auch willkommen. Darum heißt es jetzt:
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«