Geheimnisvolle Stadt
»Es ist wieder soweit, seid Ihr auch schon bereit?«
Dann lasst uns nicht länger zögern und diesen Tag mit einer schönen Gutenachtgeschichte beenden. Zuvor müsst Ihr natürlich wieder ins Bett, denn nur dort ist der Ort für eine solche Geschichte. Deckt Euch also wieder gut zu, schließt bitte die Augen und hört aufmerksam zu. In diesem Augenblick stehen wir in der vergessenen Höhle bei unseren Freunden …
Die intensive Lichtwolke um unseren Kalle herum war so dicht, dass der junge Bursche kaum noch zu erkennen war.
»Das dauert aber lang«, bemerkte Betty.
Auch unserem Öseblöm fiel auf, dass die Lichtwolke sich viel länger um Kalle zu kümmern schien. Aber er sagte nichts und beobachtete fasziniert die Arbeit des Lichtvolkes.
»Er hat nicht nur ein paar Prellungen und blaue Flecken …«, summte Kasran. »Das dauert ein wenig länger.«
Der Riese Handan stand noch immer an der Felswand, dort wo noch kurz zuvor das Lichttor den Weg freigegeben hatte. Er schaute sich in der riesigen Höhle um. Taghell war sie erleuchtet und überall flogen die kleinen Lichtpunkte schwer beschäftigt umher. Sie schienen unsichtbaren Straßen in der Luft zu folgen.
Plötzlich erkannte er eine geheimnisvolle Ordnung in dem bunten Treiben, denn die Lichtpunkte hatten alle unterschiedliche Farben. Die einzelnen Licht- und Leuchtpunkte tauchten aus dem Nichts auf, flogen einen unsichtbaren Weg entlang und verschwanden wieder ins Nichts.
Andere schienen im Kreis zu fliegen. Die Felswände und Türme wiederum wurden von den quirlig, funkelnden Punkten ignoriert. Sie flogen einfach hindurch, als würden sie gar nicht existieren.
Handan betrachtete das Ganze voller Andacht. Noch immer war Kalle ins Licht getaucht, das nun seine Farben änderte, mal grün, dann gelb, danach in tiefes orange wechselnd wurde es immer intensiver. Der junge Bursche fühlte sich aber sichtlich wohl.
»Das scheint ja eine ganze Stadt zu sein«, bemerkte der Riese.
»Es scheint nicht nur so«, sagte Öseblöm.
»Ich habe noch nie von einer Stadt unter dem hohen Berg gehört«, sagte Don Carlos. »Glaubt Ihr nicht, dass ich es nicht wüsste, wenn es unter meinem Nest eine ganze Stadt gäbe?«
Der Adler vom hohen Berg konnte nichts erkennen. Für ihn war es einfach nur taghell. Zwar glitzerte und funkelte es überall, aber das beeindruckte ihn wenig. Immerhin war er bereit anzuerkennen, dass seine Beulen am Kopf verschwunden waren. Doch die wären schließlich irgendwann auch von ganz allein verschwunden, so dachte er.
Amira hingegen hielt sich an Öseblöm. Auch ihr fiel der geheime Rhythmus auf, dem die Lichtpunkte zu folgen schienen.
Kasran trat an seine Gäste heran und deutete mit einer einladenden Geste in die riesige Höhle hinein. »Wer mit dem Herzen schaut, ist willkommen in Luminas, der Stadt meines Volkes«, summte er.
In diesem Augenblick wichen die Felswände zurück und was vorher noch aussah, wie eine riesige Höhle, machte nun einer prächtigen Lichterlandschaft Platz.
»Oh, ah«, machten die Freunde und bewunderten, was sie sahen.
»Was heißt hier „Oh, ah“?«, sagte Don Carlos. »Schaue ich etwa nicht mit dem Herzen? Immerhin habe ich zwei Augen im Kopf und die leisten mir schon seit vielen Jahren gute Dienste, nicht wahr?«
»Bis auf eine kleine Verwechslung …«, erinnerte Öseblöm an ihre erste Begegnung.
»Oh, ah«, tönte nun Kalle, der seine Bewunderung für die geheimnisvolle Stadt nicht zurückhalten konnte, nachdem die Lichtwolke ihn freigegeben hatte.
»Noch einer«, knurrte Don Carlos. Er kam sich langsam wie ein Außenseiter vor.
Da berührte ihn Kasran ganz sanft mit der Hand an der Stirn …
»Oh, je!«, stieß Don Carlos aus. »Wie konnte ich das nur übersehen?«
»Du hast ein großes Herz, Adler vom hohen Berg«, summte Kasran. »Schau mit den Augen des Herzens und sei willkommen.«
Unseren Abenteurern zeigte sich die uralte Stadt Luminas, verborgen unter dem hohen Berg und beschützt durch das Rad der Zeit, das alles im Nebel der Erinnerung verblassen lässt.
»Wo ist Dalin, mein Freund?«, fragte Öseblöm. »Können wir zu ihm?«
Diesmal war Öseblöm unserem Kalle zuvor gekommen. Der junge Bursche wollte auch gerade fragen.
»Der Zwerg braucht noch Ruhe«, erklärte Kasran. »Die schwarze Tiefe hat ihm arg zugesetzt. Wäret Ihr nicht gewesen, hätten wir ihm nicht helfen können.«
»Dann warten wir hier«, sagte Kalle und wollte es sich schon gemütlich machen.
»Das geht leider nicht«, entgegnete das Lichtwesen. »Ihr werdet zuhause gebraucht – dringend!«
»Was ist passiert?«, fragte Kalle voller Aufregung. »Ist unseren Freunden etwas zugestoßen? Was ist mit Lavida?« – »Ihr müsst jetzt los«, summte Kasran. »Wir begleiten Euch noch zur anderen Seite. Dann kennt ihr ja den Weg. Sobald Dalin wieder bei Kräften ist, werden wir ihn zu Euch bringen.« – »Aber woher wisst Ihr denn, wo ich wohne?«, fragte Kalle. – »Wir wissen um alles in der Welt – fast alles …«, antwortete Kasran geheimnisvoll.
Für Euch liebe Kinder ist es jetzt wieder Zeit. Darum heißt es nun:
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«