Dralle ist verschwunden
»Ich hoffe, Ihr hattet einen schönen Tag?«
Unsere Freunde auf der Veranda warten schon auf Euch. Schlüpft daher wieder schnell ins Bett, schließt Eure Augen und sperrt Eure Ohren weit auf, denn jetzt müsst Ihr gut aufpassen, wie es mit der Geschichte weiter ging …
Alle Blicke richteten sich auf den Weg, der zum großen Feld führte. Im Licht der untergehenden Sonne konnte man die Konturen von drei jungen Burschen erkennen. Der eine schleifte einen langen Stock hinter sich her. Ein Zweiter hielt mutlos eine Steinschleuder in der Hand und ein Dritter wischte sich immer wieder die Tränen aus dem Gesicht.
»Es sind nur drei!«, rief Betty, die bereits darüber nachdachte, wie auch sie helfen konnte. Hier schien es ein größeres Problem zu geben.
»Einer fehlt!«, stellte jetzt auch Don Carlos fest.
»Na, wenigstens werden wir gleich wissen, was passiert ist«, bemerkte Amira, die eigentlich schon losfliegen wollte, um einfach mal nach dem großen Feld zu schauen.
Die drei Burschen hatten ihre Freunde noch nicht entdeckt. Traurig blickten sie zu Boden und schritten nur langsam voran. Sie hatten es offensichtlich nicht eilig.
Öseblöm blieb zwar ganz gelassen in seinem Schaukelstuhl sitzen und wippte ein wenig hin und her, nachdenklich war er trotzdem. Erst als die drei Burschen die Veranda erreichten schauten sie auf und erkannten ihre Freunde. Freude sah anders aus. Nur beim jüngsten Burschen hellte sich die Stimmung auf.
»Öseblöm!«, rief Balthasar und stürmte die zwei Stufen empor, um unseren Wanderer zu begrüßen. Malle und Mallewutz hingegen hockten sich betrübt auf die Bank und setzten sich schweigend zu Lavida an den Tisch.
»Was ist denn mit Euch los?«, fragte Kalle vorwurfsvoll. »Wo sind denn Eure Manieren geblieben? Habt Ihr die mit der Steinschleuder verschossen, oder was?«
Kalle wurde richtig böse, denn er fand das Verhalten seiner Freunde äußerst unhöflich. Kerims Tochter aber war gar nicht beleidigt, sondern eher besorgt. Sie wusste, dass etwas ganz Schreckliches passiert sein musste, sonst hätten die Burschen niemals ihren Gast vergessen.
Öseblöm stand langsam auf, ging zu den Burschen und nahm sie von hinten in den Arm.
»Was ist passiert?«, fragte er.
Nach und nach beruhigten sich die Burschen. Unser Wanderer strahlte wieder diese seltsame Kraft aus, die aufgeregte Herzen zur Ruhe kommen lässt.
»Wir wissen es nicht«, antwortete Mallewutz.
»Nicht schon wieder«, meckerte Don Carlos. »Wie sollen wir helfen, wenn wir nicht wissen, was überhaupt geschehen ist.«
»Dralle ist verschwunden«, sagte Malle.
»Aber Ihr seid doch heute Morgen zusammen zur Arbeit gegangen, nicht wahr?«, versuchte Öseblöm ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Malle nickte nur.
»Und Ihr beiden seid zur Schule gegangen, oder etwa nicht?«, wandte er sich an Mallewutz und Balthasar.
Die beiden nickten ebenfalls. Bis hierhin schien ja alles in Ordnung gewesen zu sein.
»Aber was ist dann geschehen?«, fragte Öseblöm.
Bedrücktes Schweigen.
»Habt Ihr etwas angestellt?«, fragte Amira.
Immer noch Schweigen.
»Glaubt Ihr, dass Ihr Dralle mit Eurem Schweigen helfen könnt?«, bohrte Öseblöm nach.
Malle seufzte: »Da waren diese Jungs von der Schule …«
»Und weiter?«, Herr Öseblöm ließ nicht locker.
»Ich weiß auch nicht«, sagte Malle dann. »Ich bin einfach weiter zu unserem Feld.«
»Du hast unseren Dralle allein gelassen …«, murrte Balthasar.
»Wir wollten ihm ja helfen,« wandte Mallewutz ein, »aber als wir dort ankamen, war Dralle schon verschwunden und die Jungs ebenfalls!«
»Und jetzt?«, fragte Öseblöm, der ahnte, was geschehen war.
»Jetzt wird es dunkel, daher werden wir uns wohl gedulden müssen«, mischte sich nun Lavida ein, die ebenfalls ahnte, was da vor sich ging.
Malle konnte erneut seine Tränen nicht zurückhalten und wischte sich mit dem Ärmel durchs Gesicht.
Kalle stand auf und nahm seinen Freund tröstend in den Arm. – »Dann gibt es ein Problem an der Schule«, bemerkte er mit fester Stimme. »Ich glaube, ich werde morgen mal ein ernstes Wort mit Eurem Lehrer reden.« – Herr Öseblöm lächelte wieder ganz leise. »Ein ernstes Wort ist gut,« dachte er, »sogar sehr gut …«. In diesem Augenblick freute Öseblöm sich über Kalle, denn der junge Bursche war zu einem echten Abenteurer herangereift.
Auf Euch liebe Kinder warten auch schon ein paar Abenteuer, denn das Traumland hat seine Tore nun weit geöffnet. Darum heißt es jetzt:
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«