Warten auf der Veranda
»Seid Ihr bereit? Es ist soweit.«
Dann lasst uns nicht länger warten. Unsere Freunde warten schon. Also, Ihr kennt das ja. Zuerst geht es ins Bett. Dann bitte gut zudecken, richtig kuscheln, jetzt die Augen zu und Ohren auf, denn wir begeben uns auf die Veranda des Burschenhauses …
»Ich hoffe, sie finden eine Spur«, sagte Don Carlos, nachdem sich ihre Freunde auf den Weg gemacht hatten und die Dorfbewohner mitsamt Bürgermeister wieder verschwunden war. »Amira und ich hatten jedenfalls nichts entdecken können, was auf Dralle hinweisen könnte.«
Lavida schaute sehr besorgt.
»Das hoffe ich auch, Don Carlos«, stimmte sie zu. »Ich war ja bereits bei Bauer Rums auf dem Hof. Aber dort war Dralle nicht. Und wir haben wirklich gesucht.«
»Na ja«, meinte Betty. »Suchen und Suchen ist ein Unterschied.«
»Wie meinst Du das?«, fragte Lavida. »Glaubst Du etwa, ich könnte nicht richtig suchen?«
»Doch schon«, beschwichtigte das kleine Eichhörnchen. »Aber ich glaube, dass Du beispielsweise Deinen Vater leichter finden könntest, als unseren Dralle, einfach, weil Du ihn besser kennst und Dich viel besser in ihn hineinfühlen kannst. Verstehst Du, was ich meine?«
Lavida dachte nach und schwieg. Don Carlos saß regungslos auf dem Verandazaun und die kleine Betty hüpfte immer wieder vom Tisch auf den Boden, huschte einmal quer über die Veranda, nur um dann wieder auf den Tisch zu springen.
»Kannst Du nicht ruhig sitzen bleiben?«, fragte Don Carlos. »Du machst einen ja richtig nervös.«
»Es fällt mir schwer zu warten und nichts zu tun«, antwortete Betty. »Sie müssten doch schon wieder da sein!«
»Es sind doch erst ein paar Minuten vergangen«, warf Lavida ein.
»Wenn Dralle bei mir im Wald wäre, könnte ich ihn ganz schnell aufspüren«, sagte Betty. »Aber mein Wald ist viel zu weit entfernt. Da müsste Dralle ja über den hohen Berg. Das ist unmöglich für ihn.«
»In Deinem Wald müsstest Du ihn aber schnell finden, bevor ihn der Bär erwischt«, warf Don Carlos ein. »Mit dem ist nicht gut Kirschen essen, wie Du Dich vielleicht erinnerst.«
Lavida blickte noch besorgter drein.
»Dralle hat nun schon eine Nacht da draußen verbracht. Ich hoffe es geht ihm gut«, sagte sie.
Dann sprang sie auf.
»Ich kann auch nicht länger warten«, rief sie.
»Was wollt Ihr denn tun?«, bremste Don Carlos den Tatendrang. »Ihr könnt ja hier auf der Veranda im Kreis laufen. Aber damit macht ihr mich nervös. Wenn ich aber auch im Kreis laufe, werde ich bald aussehen wie eine Ente.«
Don Carlos schüttelte nur seinen Kopf.
»So geht das nicht«, sagte er. »Wir müssen einfach nur warten. Das ist doch nicht so schwer, oder?«
»Ja, aber die Zeit vergeht so langsam, wenn wir nichts tun«, warf Betty ein, die gerade wieder auf dem Tisch saß. »Vielleicht haben wir auch irgendetwas übersehen, hier im Haus, meine ich.«
»Du meinst eine Spur?«, fragte Lavida.
»Besser einen Hinweis, wo wir suchen müssen«, erklärte Betty.
»Also ich werde nicht im Haus suchen«, sagte Don Carlos bestimmt, der nicht verstehen konnte, warum Warten so schwierig sein sollte.
Lavida aber ließ sich das nicht zweimal sagen. Zusammen mit Betty huschte sie ins Haus und begann mit der Suche.
»Ruf uns, falls jemand kommt!«, bat sie noch den Adler vom hohen Berg. Dann war sie im Haus verschwunden.
»Ruf uns, falls jemand kommt«, wiederholte Don Carlos etwas verstimmt. Der Adler hatte wenig Lust hier allein auf der Veranda zu warten. »Außerdem könnt ihr euch ohne mich überhaupt nicht miteinander unterhalten, schon vergessen?«
Das jedoch hörten die beiden nicht mehr.
Jetzt wurde auch Don Carlos unruhig. Er wollte nicht der Einzige sein, der einfach nur da saß und nichts tat. Das wäre ja ein schöner Freund! Auf der anderen Seite heißt Warten eben Warten und nicht rumlaufen oder hüpfen. Die Zeit würde dadurch auch nicht schneller vergehen. Ganz im Gegenteil, je länger Don Carlos darüber nachdachte, desto mehr hatte er das Gefühl, dass die Zeit noch langsamer verstrich.
»Ich schau in Dralles Zimmer nach!«, rief Betty und ward nicht mehr gesehen.
Lavida jedoch konnte Betty ohne Öseblöms Halstuch nicht verstehen, und so stand sie plötzlich allein in der Küche und suchte nach dem Eichhörnchen. Die kleine Betty hatte sich scheinbar in Luft aufgelöst. Doch nach einiger Zeit tauchten beide wieder auf der Veranda auf.
»Habt Ihr etwas gefunden?«, fragte Don Carlos. – »Nein«, antwortet Betty. Lavida schüttelte nur den Kopf. – »Dann müssen wir hier halt weiter warten«, stellte Don Carlos zufrieden fest. Und so verging die Zeit auf der Veranda immer langsamer und langsamer und langsamer.
Für Euch liebe Kinder ist es jetzt ganz langsam wieder soweit. Darum heißt es nun:
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«