Mühldorf
»Seid Ihr bereit? Es ist soweit!«
Lasst uns nachschauen, wie es auf der Veranda weiterging. Falls der Mond nichts erzählt, könntet Ihr ja der Sonne berichten … Also huscht ganz schnell wieder in Euer Bett und macht es Euch so richtig gemütlich. Schließt bitte die Augen und öffnet Eure Ohren, denn auf der Veranda lauschte nun alles unserem Wanderer, Herrn Vinidi Öseblöm von Öseblömhausen, Öseblöm …
»Wie Ihr sicher wisst, war ich in den letzten Tagen nicht untätig«, begann Öseblöm seine Erzählung. Diesmal unterbrach ihn niemand mehr.
»Während Ihr tagsüber zur Schule und Eurer Arbeit nachgingt, machte ich mich weiter auf die Suche nach meinen Eltern. Dabei waren mir Dix und Dax eine große Hilfe. Ich weiß nicht genau warum, aber seit sie wieder zurück sind, folgen sie mir noch besser und sind schneller als je zuvor.«
Das Kerzenlicht tanzte auf dem Tisch und die leuchtenden Fackeln tauchten die Veranda in eine gemütlich, warme Atmosphäre aus goldgelbem Licht. Immer wieder stiegen mit leisem Knacksen kleine Funken zu den kühl glitzernden Sternen empor. Alle folgten gebannt der Erzählung ihres neuen Freundes.
»Vor ein paar Tagen traf ich dann auf das Mühldorf. Wie gesagt, etwa eine halbe Tagesreise Richtung Osten. Das Dorf liegt auf einem kleinen Hügel und mir fiel auf, dass dort oben immer ein starker Wind bläst. Gleich am Eingang des Dorfes steht eine riesengroße Windmühle, deren Flügel sich langsam im Wind drehen.«
»Deshalb Mühldorf …«, warf Balthasar ein. Die Jungs hatten schon in der Schule von Windmühlen gehört.
Öseblöm nickte nur und fuhr fort.
»Der erste Bewohner, der mir begegnete, war ein älterer Herr, gut gekleidet mit einem Zylinderhut auf dem Kopf. »Ach, Du schon wieder«, meinte er nur im Vorbeigehen und verschwand in einem der Häuser, die mit vielen bunten Bildern verziert waren.«
»Ihr könnt Euch vielleicht vorstellen, wie verblüfft ich war, schließlich war ich zum ersten Mal in diesem Dorf. Aber es konnte nur eine Erklärung dafür geben: Ein Öseblöm musste schon einmal hier gewesen sein …«
»Und es klingt, als sei die Erinnerung daran noch ganz frisch«, bemerkte Kalle, der sehr aufmerksam zuhörte. Hier bahnte sich das nächste Abenteuer an. Kalle spürte es, denn plötzlich war er wie elektrisiert.
Unser Wanderer bemerkte die Aufregung und lächelte still, dann erzählte er weiter.
»Ich folgte dem Mann und blieb vor der verschlossenen Tür stehen. Einen kurzen Moment zögerte ich, dann klopfte ich dreimal an die Tür – Tok, TokTok.«
Öseblöm klopfte mit der Hand auf den Tisch, um seine Geschichte noch greifbarer zu machen.
»Das Klopfen kenne ich …«, grinste Balthasar.
»So klopfen alle Öseblöms an eine Tür«, erklärte unser Wanderer.
»… und auch an Wände«, ergänzte Balthasar und lachte.
Die Burschen lachten kurz auf. Nur Kreszenz, Pimpinelle und Bauer Rums schauten fragend in die Runde. Aber Öseblöm fuhr sogleich fort.
»Der ältere Herr öffnete einen spaltbreit die Tür. Er trug noch immer seinen Zylinderhut auf dem Kopf. »Noch immer Du?«, fragte er. Höflich, wie ich bin, stellte ich mich erst einmal vor. »Verzeihen Sie die Störung mein Herr. Meine Name ist Öseblöm …«
»Ich weiß«, fiel mir der Mann ins Wort. »Arjan Öseblöm …, aber was willst Du noch hier? Du musst Dich beeilen und wo ist Deine Frau?«
»Ich war wie vom Donner gerührt! Meine Eltern waren vor Kurzem in diesem Dorf!«
Auf der Veranda herrschte eine gespannte Stille. Niemand wagte es, den Wanderer zu unterbrechen. Ein leiser, warmer Nachtwind strich über den Tisch und spielte mit den Flammen der Kerzen.
»Ich muss den älteren Herrn wohl ziemlich verblüfft angeschaut haben, denn jetzt streckte er seinen Kopf zur Tür heraus und schaute mich etwas genauer an.«
»Mein Name ist Vinidi Öseblöm«, sagte ich und verbeugte mich höflich. »Ich bin auf der Suche nach meinen Eltern … Arjan und Kaira Öseblöm.«
»Der Mann rückte seinen Zylinderhut zurecht und öffnete nun die Haustür ganz. »Komm herein, mein Junge, schnell«, sagte er. »Du hast nicht zufällig ein Seil dabei?«
»Er schaute sich noch einmal draußen nach allen Seiten um, dann zog er mich an meinem Arm ins Haus und verschloss die Tür. Wieder fuhr seine Hand zum Zylinderhut und schob ihn ein wenig zurecht. »Äh,« räusperte er sich, »ich heiße Radun und wie man sieht, bin ich der Bürgermeister dieses Dorfes.« »Verzeihen Sie, aber wie sollte ich das sehen können?«, fragte ich.
»Radun deutete mit seinen Augen hoch oben auf seinen Kopf. »Der Hut «, sagte er. »Der Bürgermeister vom Mühldorf trägt immer diesen Zylinderhut.«
»Jetzt verstand ich. »Darum tragen Sie ihn auch in Ihrem Haus?«, vergewisserte ich mich noch einmal. »Natürlich, es könnte ja unverhoffter Besuch kommen«, stellte der Bürgermeister fest.« – Kreszenz musste plötzlich lachen: »Haha, wenn mein Vater das wüsste«, meinte er. »Der würde den Hut auch in seinem Bett aufbehalten!« – Schallendes Gelächter drang von der Veranda in den Nachthimmel empor und Öseblöm erzählte weiter …
Für Euch, liebe Kinder, ist es jetzt aber an der Zeit, ins Traumland zu reisen … Darum heißt es nun:
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«