Mama Rums
»Seid Ihr bereit? Es ist soweit!«
Die nächste Geschichte wartet schon auf Euch. Also lasst uns keine Zeit verlieren. Hüpft ganz schnell in Euer Bett und deckt Euch gut zu. Macht es Euch bitte so richtig gemütlich, denn schließlich wollt Ihr doch ganz bestimmt nicht verpassen, wie Mama Rums endlich nach Hause kam. Also schließt jetzt Eure Augen und spitzt Eure Ohren, denn der Himmel über der Veranda erstrahlt in goldenem Licht …
… zunächst waren es nur vereinzelte kleine Lichtpunkte, die wie Glühwürmchen in der Nacht tanzten. Dann aber schlossen sie sich zusammen, flogen wie ein großer Schwarm Vögel dicht gedrängt durch die Nacht, immer wieder Kreise und Wirbel bildend. Plötzlich entstand ein gewaltiger Regenbogen, der genau über der Veranda endete.
»Am Ende eines Regenbogens ist immer ein Schatz verborgen …«, murmelte Dalin und staunte über das Lichtspiel am Himmel.
Die Freunde saßen aufgeregt und voller Ehrfurcht auf ihren Plätzen. Jetzt wandelte sich der Regenbogen in eine goldgelbe Straße am Himmel, die direkt zur Veranda unserer fünf Burschen führte. Endlich … hatte das lange Warten ein Ende gefunden. Auf dieser Lichtstraße kam Kasran herbeigeeilt. In seinen Arm trug er Mama Rums. Später wurde darüber gestritten ob Kasran nun gegangen sei. Einige Beobachter behaupteten nämlich, er sei geschwebt.
Für Anton Rums jedoch hatte das alles keine Bedeutung. Er hatte nur noch Augen für seine Frau. Die strahlte über ihr ganzes Gesicht, als Kasran sie direkt vor den Verandastufen absetzte.
Da stand sie nun, völlig genesen, vielleicht noch ein wenig schwach auf den Beinen, aber von ihrer langen schweren Krankheit war sie geheilt.
Bauer Rums sprang auf sie zu und nahm sie in den Arm. Beiden liefen dicke Tränen die Wangen herunter. Pimpinelle hatte sich sogleich zwischen ihre Eltern gedrängt und hielt beide mit ihren kleinen Armen fest umschlungen. Auch sie weinte vor Glück.
Unsere Burschen waren tief gerührt.
»Wollt Ihr nicht noch eine Weile Platz nehmen?«, lud Kalle die Rums-Familie ein.
Die Straße aus goldgelbem Licht stob inzwischen auseinander im aufkommenden Wind. Millionen von Lichtpunkten ließen sich treiben, stiegen auf, zum Nachthimmel empor und verblassten plötzlich wie das Leuchten einer Feuerwerksrakete. Danach herrschte friedliche Stille. Die fernen Sterne funkelten wie eh und je in kühlem, unnahbarem Glanz. Und der Mond schien doch tatsächlich still zu lächeln.
»Au ja«, rief Balthasar. »Bitte bleibt noch ein bisschen bei uns. Mama Rums, wir freuen uns so sehr, dass es Dir wieder gut geht.«
»Sie darf sich noch nicht zu sehr anstrengen, liebe Freunde«, summte Kasran mit seiner Singstimme und wandte sich gleich dem Zwerg zu: »Auch Du, Dalin, bist noch nicht soweit. Du erholst Dich prächtig, aber eine solche Reise ist für Dich zu anstrengend.«
»Eine Reise, was für eine Reise?«, fragte Mallewutz. »Will hier wer verreisen?«
Dalin saß derweil in seinem Schaukelstuhl und nickte dem Lichtwesen freundlich zu. Er hatte schnell verstanden, was Kasran meinte. Aber woher konnte dieses geheimnisvolle Lichtwesen das nur wissen? Den Zwerg verwunderte jedoch gar nichts mehr. Nach all seinen Erlebnissen hielt er langsam vieles für möglich …
Nun schritt Mama Rums die Verandastufen hinauf und setzte sich am Rand auf die Bank. Öseblöm war sofort herbeigesprungen und stützte sie unter ihren Armen.
»Ein freundlicher Fremder«, bemerkte Mama Rums, die schon viel über Öseblöm gehört hatte. An ihre kurze Begegnung im Krankenbett konnte sie sich nicht mehr erinnern.
»Darf ich vorstellen«, sagte Balthasar und verbeugte sich tief wie ein Edelmann. Mit einer Hand deutete er auf unseren Wanderer: »Das ist nicht nur ein freundlicher Fremder, das ist ein fremder Freund! Unser Freund! Vinidi Öseblöm, von Öseblömhausen, Öseblöm.«
»Ich habe schon viel von Euch gehört«, begann Mama Rums und reichte Öseblöm ihre Hand. »Man erzählt sich wundersame Geschichten über Euch und Eure Eltern …«
»Geschichten über meine Eltern?«, fragte Öseblöm. »In Mantara …?«
»Die Stadt unter dem heiligen Berg …, ja«, antwortete Mama Rums und lächelte.
»Ich möchte mich bei Euch allen bedanken, für Eure Liebe und für Eure Hilfe. Sobald ich wieder bei Kräften bin, komme ich gerne und helfe Euch hier wieder im Haus.«
»Nun werd‘ erst einmal wieder ganz gesund«, mischte sich nun Bauer Rums ein, der sich gleich wieder Sorgen um seine Frau machte.
»Ja, und ich helfe auch von Herzen gerne!«, rief die kleine Pimpi. Ihr Herz floss geradezu über vor Dankbarkeit.
»Darfst Du schon Limonade trinken?«, fragte Balthasar und schaute etwas zweifelnd zu Mama Rums.
Kasran hatte sich mittlerweile wieder hinter den Schaukelstuhl zurückgezogen. Sein Licht breitete sich erneut über die ganze Veranda aus und berührte alle Anwesenden in ihren Herzen. Das Lichtwesen nickte kurz und sagte: »Miriam Rums soll sich noch nicht zu sehr anstrengen, aber sie kann essen und trinken, wonach ihr beliebt.«
Sofort stürmte Balthasar in die Küche und brachte noch Gläser und ein paar Flaschen von der leckeren selbst gemachten Limonade. Es wurde ein gemütlicher Abend und die Freunde erzählten Mama Rums von all den Abenteuern und Geschichten, die sich bislang zugetragen hatten. Nur manchmal wischte sich Miriam Rums ihre leuchtend roten Haare aus dem Gesicht, schaute kurz zu Öseblöm herüber und flüsterte mit einem geheimnisvollen Lächeln: »Ich weiß …«
Für Euch, liebe Kinder, ist es jetzt aber an der Zeit, ins Traumland zu reisen … Darum heißt es wieder:
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«