… die unglaublichen Abenteuer des Herrn Öseblöm –
und seiner Freunde …

Home 9 Gutenachtgeschichten 9 Jahr-01 9 Episode 164

Dralles Geschenk

»Hattet Ihr einen schönen Tag?«

Dann solltet Ihr zum Abschluss des Tages eine schöne Gutenachtgeschichte hören, denn auf unsere Freunde auf der Veranda warten neue Abenteuer. Also macht es Euch in Eurem Bett wieder so richtig gemütlich und deckt Euch schön zu. Schließt wieder Eure Augen und öffnet Eure Ohren, und wenn Ihr schon dabei seid, dann könnt Ihr Eure Herzen auch gleich ganz weit aufmachen …

… denn auf der Veranda passierten jetzt weitere wundersame Dinge.

Unserem Öseblöm war nicht entgangen, dass Miriam Rums auf dem heiligen Berg nicht nur einfach Heilung erfahren hatte. Wie es schien, wurden ihr tiefe Einblicke gewährt. Er musste sie unbedingt allein sprechen. Vielleicht konnte Mama Rums ihm helfen, seine Eltern zu finden.

An diesem Abend wurde viel gelacht auf der Veranda und immer neue Geschichten wurden erzählt. Nur Dralle beteiligte sich nicht. Er saß leicht zurückgezogen an der Hauswand angelehnt und schaute immer wieder zu den Sternen, wie sie eisig und unerreichbar in der Unendlichkeit schimmerten.

Ja, es stimmte, auch er war froh darüber, dass Mama Rums endlich gesund zurück war. Und es war auch schön, so viele Freunde um sich zu haben. Dennoch, in seinem Herzen, tief verborgen unter schwer zugänglichen Erinnerungen versteckten sich große Wunden, die einfach nicht verheilen wollten. Jetzt brachen sie aus ihm hervor. Still und leise rannen zwei dicke Tränen seine Wangen herunter. Bei all der Freude und all dem Trubel bemerkte keiner auf der Veranda, wie sehr Dralle litt.

Keiner? Nicht ganz.

Kreszenz drehte sich plötzlich um und sah Dralles Tränen. Der Sohn des Bürgermeisters hatte nicht vergessen! Langsam stand er auf und legte behutsam seine Hand auf Dralles Schulter.

»Wenn ich Dir helfen kann? Ich bin für Dich da«, sagte er und drückte ihn kurz.

Dralle nickte nur und flüsterte: »Danke, aber ich glaube, dass mir niemand helfen kann.«

Kreszenz verstand oder besser, er versuchte zu verstehen. Aber der ehemalige Rüpel war aus einem anderen Holz geschnitzt. So schnell wollte er nicht aufgeben.

»Ich habe hier bei Euch so viele Wunder erlebt, dass ich mir ehrlich gesagt überhaupt nicht vorstellen kann, warum ausgerechnet Du keine Hilfe bekommen solltest.«

Das hatte Öseblöm gehört.

Auch unser Wanderer wandte sich nun dem jungen Burschen zu. Öseblöm stand auf und gesellte sich zu Dralle. Dabei berührte er ihn sanft an seinem Hinterkopf. Dralle konnte nun seine Tränen nicht länger unterdrücken.

»Sprich es aus, mein Freund …«, sagte Öseblöm.

Es war, als befänden sich die drei Freunde in einer Glocke. Im Hintergrund ertönte lautes Lachen und bei all dem Glück wurden andere Wunden übersehen.

Plötzlich und unerwartet schwebte Kasran unmittelbar vor unseren drei Freunden.

»Mein lieber Freund«, begann er mit seiner Sing-Sang Stimme. »Du hast wahrlich ein großes Herz.«

Dralle schaute staunend auf, denn Kasran hatte zu ihm gesprochen. Ein Blick zur Seite verwunderte ihn noch mehr. Die anderen Freunde schienen überhaupt nicht zu bemerken, was hier geschah. Sie unterhielten sich prächtig mit immer neuen Geschichten. Kalle erzählte gerade, wie sie versucht hatten, Dix und Dax wieder einzufangen …

»Ich kann Dir Deine Eltern nicht zurückbringen«, fuhr Kasran fort. »Aber wenn Du es erlaubst, so kann ich Dir Deinen Schmerz nehmen und noch ein bisschen mehr …«

Kasran lächelte ein unergründliches Lächeln. Nur Öseblöm und Kreszenz durften hören und sehen, was jetzt geschah. Den anderen Freunden blieb dies jedoch verborgen. Die Konturen des Lichtwesens verschwanden und wandelten sich erneut in einen unermesslich großen Schwarm aus kleinen Lichtpunkten, die in allen Regenbogenfarben leuchteten.

Dralle tauchte in diese Lichtwolke ein, wurde von ihr emporgehoben. Luftig und leicht schwebten sie über das Geländer der Veranda. Dralle war jetzt umgeben von gleißendem Licht. Gemeinsam stiegen sie auf in den Nachthimmel, höher und höher. Gewaltige Lichtkaskaden umgaben den jungen Burschen, der von hier unten nicht mehr zu erkennen war.

Öseblöm und Kreszenz hielten sich an den Händen fest und verfolgten fast andächtig das unglaubliche Schauspiel. Obwohl das Licht heller war als jede Sonne, konnte kein Dorfbewohner dies erkennen. Für alle anderen war es eine friedliche Nacht, nicht weiter ungewöhnlich.

Kasran aber stieg mit Dralle noch weiter in die Höhe.

»Sieh her, mein Freund«, sang das Lichtwesen und deutete in Richtung des hohen Berges.

Dralle konnte mit einem Male das ganze Land unter sich erkennen. Er verspürte keine Angst, eher ungläubiges Staunen. All sein Schmerz, der sein Herz bedrückte, verflog auf Nimmerwiedersehen und wurde von den gewaltigen Lichtkaskaden hinfort gespült. In der Ferne konnte er sogar Wurzelbruck erkennen. In dieser Nacht sah der junge Bursche sogar noch viel mehr …

Ganz unvermittelt kehrte Dralle zu seinen Freunden zurück. Von einer Sekunde zur anderen saß er wieder neben seinen Freunden Öseblöm und Kreszenz. Kasran schwebte an der Wand hinter dem Schaukelstuhl, als sei nichts geschehen. Die Freunde lachten gerade über die Geschichte mit Dix und Dax und dem verzweifelten Mallewutz, der sie ordentlich nebeneinandergestellt hatte. Und unsere drei Freunde …? – Die saßen ein wenig abseits und mussten das Erlebte erst einmal verarbeiten. – »Wunder können immer und zu jeder Zeit geschehen«, sagte Öseblöm und lächelte. »Sei immer darauf gefasst!«  – Damit wandten sie sich erneut der lustigen Runde zu. Niemand hatte etwas bemerkt.

Für Euch, liebe Kinder, ist es jetzt an der Zeit, ins Traumland zu reisen … Darum heißt es wieder:

»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«