Schnelle Reise
»Seid Ihr schon bereit?«
Die nächste Geschichte wartet auf Euch und Ihr wollt sie sicher nicht warten lassen, oder? Dann solltet Ihr ganz schnell ins Bett und unter Eure Decke schlüpfen. Macht es Euch wieder so richtig gemütlich, denn wir begleiten nun unseren Kalle, wie er zum ersten Mal in seinem Leben ein wirklich eigenes Abenteuer erlebt …
Betty, das kleine Eichhörnchen hatte wirklich alle Mühe sich festzuhalten. Kaum hatte Kalle seine Wanderstiefel in Stellung gebracht, rasten diese auch schon los. Zurück blieb eine große Wolke aus aufgewirbeltem feinem Staub, der sich nur langsam wieder zu Boden senkte.
Die Sonne stand noch hoch am Horizont und so hatten unsere Freunde genügend Zeit, um bei der Geschwindigkeit das Geäst in den Zaubererwald zurückzubringen, Karun aufzusuchen und danach noch den hohen Berg zu erreichen. So dachte es sich zumindest Kalle, der sich schnell an Dix und Dax gewöhnt hatte.
»Was für ein Abenteuer!«, rief er und genoss den Wind, der ihm um die Ohren pfiff.
»Ja, ja«, rief Betty. Dem Eichhörnchen glich der Wind eher einem mittleren Sturm. »Aber, dass Ihr es immer so eilig haben müsst …«
Nur das Geäst sprach kein Wort, es klammerte sich um den Reisigbesen und änderte nicht einmal mehr die Farbe.
»In diesem Tempo müssten wir schon bald die Schafherde erreichen!«, rief Kalle. »Bin gespannt, was die kleine Marie dazu sagt, uns schon wieder zu sehen …«
Betty konnte sich kaum noch festhalten. Da hatte sie eine Idee! Sie stemmte sich gegen den Wind und zog sich vorsichtig an Kalles Hemd voran, kletterte über seine Schulter auf die Brustseite unseres Helden und verkroch sich dann in dessen Hemd. Hier konnte sie sich endlich die Ohren zuhalten, ohne verloren zu gehen.
»Du kitzelst mich!«, rief Kalle und lachte. Aber sein Lachen ging im Dröhnen des Windes unter.
Dem jungen Burschen war es, als würde er durch die Landschaft fliegen. Dix und Dax folgten ihm und trugen ihn noch schneller voran, als sie es je zuvor getan hatten. Und die beiden Stiefel fühlten sich wohl bei ihrem neuen Herrn …
Unser ungleiches Gespann fiel auf. Nicht nur, dass Dix und Dax recht laut waren, nein, Kalle wirbelte mit seinen Stiefeln im wahrsten Sinne des Wortes viel Staub auf. Der feine Sand und Staub stieg in die Höhe, tanzte im warmen Sonnenlicht und schien dabei laut zu rufen: »Seht alle her, hier sind wir!« Und als hätte er alle Zeit der Welt, schwebte er nur ganz langsam wieder zu Boden.
Doch davon bemerkte Kalle nichts. Unser Bursche hatte genug damit zu tun, den Weg nicht aus den Augen zu verlieren. Deshalb lenkte er seine Stiefel weiter in Richtung des hohen Berges und die davor liegende Ebene. Zum Glück hatte er ein gutes Gedächtnis und einen zuverlässigen Orientierungssinn.
Genau darauf hatte Öseblöm vertraut. Der war mittlerweile zusammen mit Handan, Dralle und dem jungen Kreszenz ebenfalls auf dem Weg zum hohen Berg und nicht mehr weit hinter Kalle zurück.
»Deine Stiefel sind aber ganz schön schnell geworden!«, rief Handan, während er mit riesigen Schritten durch die Landschaft donnerte.
»Das kommt mir auch so vor!«, brüllte Öseblöm zurück. »Aber wir müssen hier kein Wettrennen veranstalten. Lass uns gleich zum Höhleneingang.«
»Willst Du nicht zuerst zur Schafherde?«, fragte Handan.
»Da können wir auch auf unserem Rückweg vorbeischauen«, rief Öseblöm. »Außerdem schaut Kalle dort vorbei. Wir werden also schon noch erfahren, ob Erik oder Marie etwas gehört haben.«
»Na gut«, sagte Handan und zog in einem großen Bogen weiter nach links, direkt in Richtung Höhle.
Dralle und Kreszenz fühlten sich ein wenig, wie überflüssiges Gepäck. Sie konnten sich nicht vorstellen, warum Öseblöm ausgerechnet sie dabei haben wollte. Dennoch war diese Reise atemberaubend. Der Wind blies ihnen ins Gesicht und dröhnte in ihren Ohren. Allerdings spürten sie oben auf der Schulter des Riesen nichts von den tiefen Erschütterungen, die der Riese von Wurzelbruck verursachte. Das Beben und Zittern des Erdbodens war weithin zu spüren und noch viel weiter zu hören. So war es nicht weiter verwunderlich, dass auch diese Abenteurer Aufmerksamkeit erregten …
***
»Da vorn!«, rief Betty, so laut sie nur konnte. »Das könnte die Schafherde sein!«
»Du hast recht«, antwortete Kalle und wies seine Stiefel an, etwas langsamer zu werden.
Dix und Dax folgten ihm, wie ein gut ausgebildeter Wachhund. Ja, es schien sogar so, dass sie längst spürten, was Kalle wünschte, noch bevor er ein Zeichen gab. Unser Kalle jedoch hatte sich bereits so sehr an die Wanderstiefel gewöhnt, als hätten sie ihm schon immer gehört.
Schließlich erreichten unsere beiden die Schafherde. Auf ein kurzes Zeichen von unserem Burschen bremsten die Wanderstiefel und blieben genau vor Erik, dem Anführer der Schafherde, stehen.
»Immer so eilig unterwegs …«, murmelte Erik von Weidenstamm, drehte sich langsam um und strebte auf einen kleinen Felsen zu. Viele der Schafe hatten sich hinter umliegenden Felsen versteckt oder in vereinzelten Büschen verkrochen. Aber als sie Kalle erkannten, kamen sie alle langsam wieder hervor.
»Guten Tag, Erik«, begrüßte Kalle den Bock und verneigte sich höflich. »Du kannst sprechen?«, fragte Erik, aber es war mehr eine Feststellung. Der Anführer der Schafherde sprach langsam und ließ sich Zeit. – »Darf ich fragen, wo Marie ist?«, wollte Kalle wissen. Der Bursche schaute sich suchend um. – »Das darfst Du«, antwortete Erik und schwieg eine ganze Weile. Kalle wartete geduldig. »Marie ist verschwunden«, erklärte der Anführer und es schien, als sei er echt besorgt.
Für Euch, liebe Kinder, ist es jetzt an der Zeit, ins Traumland zu reisen … Darum heißt es wieder:
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«