Ein guter Freund
»Es ist soweit! Ich hoffe sehr, Ihr seid bereit?!«
Es wird Zeit, denn die nächste Gutenachtgeschichte will einfach nicht mehr warten. Darum schlüpft nun ganz rasch unter Eure Decke und macht es Euch so richtig gemütlich. Zuerst schließt bitte wieder die Augen und danach macht Eure Ohren ganz weit auf, denn unser Kalle steht gerade vor dem Eingang zur vergessenen Höhle und denkt darüber nach …
… was Karun wohl damit gemeint haben könnte »Sei ihm ein GUTER Freund …«
»Ich bin doch ein guter Freund, ein sehr guter Freund sogar«, sagte Kalle und hörte plötzlich ein lautes Schnarchen auf seiner Schulter. »CHHRR, CHHRRrrrr …«
»Ja ist das denn wahr?«, fragte der Bursche laut.
Aber die kleine Betty rührte sich nicht. Mit ihren Pfötchen krallte sie sich an Kalles Hemd fest, das Köpfchen ein wenig nach vorne geneigt schnarchte sie so laut, als wolle sie einen ganzen Wald absägen.
Der Bursche nahm die Kleine vorsichtig von seiner Schulter herunter und hielt sie nun in seinen Händen.
»Betty …«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Aufstehen …«
Betty drehte sich genüsslich von einer Seite auf die andere, schmatzte angeregt und machte keine weiteren Anstalten aufzuwachen.
»Mir scheint, ich muss nicht nur unserem Öseblöm ein guter Freund sein«, stellte Kalle fest und ließ das Eichhörnchen wieder in seinem Hemdausschnitt verschwinden.
In diesem Augenblick schoss unserem Abenteurer ein Gedanke durch den Kopf: »Was, wenn Kasran und das Lichtervolk nicht in der Höhle wären …?«
»Dann müsste es für meine Freunde ziemlich dunkel sein«, dachte Kalle.
Der Bursche erinnerte sich an sein eigenes Erlebnis in der Höhle. Damals hatte er sich geschworen, dass ihm so etwas nicht noch einmal passieren würde.
»Damals …«, dachte Kalle. »Wie das klingt? Dabei ist es noch gar nicht so lange her.«
»Ich werde ein paar Fackeln brauchen«, stellte der Bursche fest und begann die Umgebung nach etwas Brennbarem abzusuchen.
In diesem Augenblick kitzelte ihn der lange, weiche Schwanz des Eichhörnchens. Betty schaute verschlafen aus dem Hemdausschnitt heraus und versuchte sich zu orientieren.
»Wir müssen doch in die Höhle!«, meinte sie, ohne auch nur die geringste Erinnerung daran zu haben, was soeben geschehen war.
»Alles zu seiner Zeit«, bestimmte Kalle und suchte weiter nach langen, festen Holzscheiten, die ihm als Fackel dienen konnten.
»Aber das Gebüsch verschließt den Eingang wieder!«, rief Betty voller Sorge, dass sie ihren Freunden vielleicht nicht mehr helfen könnten.
Kalle drehte sich um und blieb aber gelassen. Er war sich ziemlich sicher, dass man ihnen den Weg nicht versperren würde. Der Bursche nickte nur zustimmend, denn er verstand, dass der Eingang nicht allzu lange ungeschützt bleiben sollte.
Die Sonne war nun schon fast verschwunden und der Abendhimmel gewährte den ersten Sternen einen kleinen Blick auf das Geschehen vor der Höhle.
Unser Bursche hatte nun alles beisammen, was er für nötig erachtete und trat wieder an das Gebüsch heran, das majestätisch den Eingang bewachte.
»Ich bitte um Einlass«, sagte Kalle.
Seine Worte waren schlicht und einfach. Keine langen Sätze, keine großen Erklärungen. Und siehe da, der riesige Busch folgte ohne Widerrede. Naja, ein bisschen schien er sich doch zu zieren, denn er machte nicht den gesamten Eingang frei, sondern öffnete sich allenfalls einen Spaltbreit, gerade noch groß genug, dass Kalle mit seinen vielen Holzscheiten hindurchschlüpfen konnte.
Kaum dass unser Bursche in der Höhle verschwunden war, verschloss das Gebüsch den Eingang wieder und ließ nicht einmal das fahle Licht des gerade aufziehenden Mondes hindurchschimmern.
»Das ist aber ziemlich dunkel hier«, stellte Betty fest.
»Das sehe ich auch«, raunzte Kalle seine Freundin an.
»Wie kannst Du das sehen?«, fragte das Eichhörnchen. »Ich sehe nämlich gar nichts, überhaupt gar nichts!«
Der Bursche seufzte.
»Ich denke nicht, dass wir jetzt Zeit haben, zu philosophieren.«
»Nenn es, wie Du willst«, sagte Betty. »Ich kann ohne Licht nichts sehen. Und soweit ich weiß, kannst Du auch ohne Licht nichts sehen.«
»Aber unsere Freunde auch nicht«, bemerkte Kalle und traf damit einen wunden Punkt.
»Du hättest vorher Feuer machen sollen«, beschwerte sich das Eichhörnchen. »Bevor wir die Höhle betreten haben. Jetzt musst Du mir einmal erklären, wie Du jetzt, hier, in der völligen Dunkelheit Feuer machen willst …« – Betty hatte recht. Kalle hatte an alles gedacht, an fast alles. Bei seinem letzen Besuch hier in der Höhle schimmerte wenigstens in der Nähe des Eingangs noch etwas Licht.
Für Euch, liebe Kinder, ist es jetzt an der Zeit, ins Traumland zu reisen … Darum heißt es wieder:
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«