Ralle
»Ich hoffe, Ihr hattet einen schönen Tag?!«
Und wie beendet man einen solchen Tag? Mit einer Gutenachtgeschichte natürlich. Daher macht Euch bereit, denn bei unseren Freunden tut sich einiges. Hüpft also ganz schnell in Euer Bett, deckt Euch gut zu und schon kann es losgehen. Ach ja, zuerst müsst Ihr selbstverständlich Eure Augen schließen und nun spitzt Eure Ohren, denn wir begeben uns zum Höhleneingang …
… der immer noch weit geöffnet war und den Blick in die tiefschwarze Dunkelheit unter dem hohen Berg freigab.
»Ich laufe nicht ohne Hose rum!«, widersprach Dralle, der sich bislang nicht mit einem neuen Namen anfreunden konnte.
»Aber Du stehst ohne Hose da«, stellte Amira fest. »Und ich frage mich, wie Du uns helfen willst, Don Carlos zu finden.«
»Öseblöm hat gesagt, dass ich mitkommen soll!«, verteidigte sich Dralle.
»„Ohne Hose?«, fragte Amira und schaute missbilligend zu Vinidi Öseblöm.
»Stop!«, rief Öseblöm und hob seine Hand, um den sich anbahnenden Streit im Keim zu ersticken. »Das bringt uns nicht weiter. Wie mir scheint, stehen große Veränderungen an und wir sollten uns schleunigst darauf einstellen.«
»Das ist wahr!«, ertönte es plötzlich in einem feinen melodischen Singsang.
»Was war das?«, entfuhr es Handan und schaute sich erst einmal nach allen Seiten um.
Aber es war nichts zu sehen. Unser Öseblöm jedoch erkannte sofort diese unvergleichliche Stimme und begann ziemlich erleichtert über das ganze Gesicht zu strahlen.
»Kasran, mein Freund«, sagte er. »Schön Dich zu sehen.«
»Zu sehen?«, meldete sich nun Betty zu Wort. »Ich sehe gar nichts!«
»Betty«, seufzte Kalle. »Als wir noch in der Höhle waren, da hast Du gar nichts gesehen. Aber jetzt ist es taghell und Du siehst immer noch gar nichts! Bist Du etwa blind?«
Das kleine Eichhörnchen fühlte sich beleidigt und versteckte sich wieder in Kalles Leinenhemd. Was der Bursche nicht wusste: Er und Öseblöm waren die Einzigen, die das leichte Flimmern in der vom Sonnenlicht durchfluteten Luft erkennen konnten.
Nicht nur für Dralle, auch für Kalle standen große Veränderungen an, sollten sie doch alle zu wahren Abenteurern werden.
»Der eine ist ohne Hose, die andere sieht nichts und ich verstehe gar nichts«, fasste Amira die Situation der Freunde zusammen. Die Adlerdame war drauf und dran sich allein auf die Suche zu machen.
Das leichte Flimmern schwebte langsam Richtung Höhleneingang. Und jetzt, vor dem Hintergrund der schwarzen Dunkelheit, wurde die millionenfarbig schillernde Kontur Kasrans für alle sichtbar.
»Kasran …, Kasran …, Oh Kasran …«, riefen die Abenteurer einer nach dem anderen.
Das geheimnisvolle Lichtwesen lächelte noch geheimnisvoller und hieß die Freunde willkommen.
»Ihr seid auf der Suche nach Don Carlos«, begann Kasran.
»Woher weißt Du das?«, fragte Amira.
Kasran legte seinen Kopf auf die Seite und lächelte.
»Liebste Amira, die ganze Welt weiß das.«
Der feine Singsang des Lichtwesens löste in den Herzen unserer Abenteurer große Freude aus. Nur Amira hatte so viel Angst um ihren Freund, dass in ihrem großen Herzen nichts anderes mehr Platz fand, als ihre Sorgen um den Freund.
»Wenn die ganze Welt das weiß, warum hilft dann nicht die ganze Welt?«, fragte Amira. Und jetzt brach ihre Verzweiflung vollends heraus: »Warum lässt mich die ganze Welt suchen, wie eine Blöde?«
Die Adlerdame hatte tatsächlich Tränen in den Augen.
In diesem Augenblick geschah etwas Wundersames. Dralle hielt seine opulente Hose mit beiden Händen fest und näherte sich behutsam der Adlerdame. Als er direkt unter ihrem Ast stand, hob er seinen Arm und streckte ihn der mächtigen Freundin entgegen.
Amira schaute verwundert auf den jungen Burschen. Sie verstand, was er wollte. Einen Moment noch zögerte sie, dann beugte sie sich herunter und kletterte vorsichtig auf Dralles Arm, schließlich wollte sie den Jungen nicht verletzen.
Alle spürten, dass etwas ganz Besonderes geschah. Wie gebannt blickten alle auf Dralle und Amira.
»Woher weißt Du das?«, fragte Amira, die sich sichtlich wohlfühlte. Offensichtlich unterhielt sich die Adlerdame mit unserem Dralle, nur dass Dralle kein Wort sprach.
»Seltsam«, sagte Amira. »Aber ich vertraue Dir!«
»Schön, dass wir das geklärt haben«, bemerkte Kasran und steigerte damit gänzlich die Verwirrung der Gefährten.
Jetzt schien sogar Amira ein wenig zu lächeln. »Ralle«, sagte sie. »Ralle ist ein wirklich guter Name, ein passender Name. Wir alle sollten unsere Namen wechseln, wenn wir uns verändern.« – »Also ich bleib bei Kalle.« – »Und ich bei Kreszenz«, meinte der Sohn des Bürgermeisters und fügte hinzu: »Ihr könnt ja Kressie zu mir sagen, wenn es unbedingt sein muss.« – »Ralle …«, wiederholte nun Dralle. »Also gut, ab jetzt bin ich für Euch RALLE.« – »… der aus der Hose stieg!«, ergänzte Kalle und grinste.
Für Euch, liebe Kinder, ist es jetzt an der Zeit, ins Traumland zu reisen … Darum heißt es wieder:
»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«