… die unglaublichen Abenteuer des Herrn Öseblöm –
und seiner Freunde …

Keine Chronik

»Seid Ihr bereit? Es ist soweit!«

Die nächste Episode unserer Gutenachtgeschichten wartet schon auf Euch. Daher hüpft nun rasch ins Bett und deckt Euch gut zu. Jetzt schließt bitte die Augen und spitzt Eure Ohren; aufgepasst, wenn Ihr auch heute Eure Herzen ganz weit aufmacht, dann hilft das unseren Freunden im Mühldorf. Die sind nämlich gerade etwas ratlos.

»Findest Du nicht, dass Du mir das hättest vorher erzählen können?«, fragte Kalle. »Und außerdem, wer einen Schatz findet, dem gehört er auch. So habe ich das mal gelernt. Ich hab‘ zwar noch keinen Schatz gefunden, ich meine, so einen richtigen, aus Gold und so …«

Kalle wollte sich überhaupt nicht mehr beruhigen. Dalin jedoch stand regungslos auf der Straße und lauschte nach allen Seiten. Das mit dem »Goldschatz« hatte schon oft funktioniert. Eines hatte Dalin nämlich auf seinen Reisen gelernt: Die Menschen waren gierig. Und sobald sie auch nur etwas von einem Goldschatz hörten, begannen ihre Augen fiebrig zu glänzen. Danach waren sie meist nicht mehr sie selbst und machten Fehler. Darauf wartete der Zwerg.

»Ich meine, natürlich habe ich einen Schatz gefunden«, fuhr Kalle mit seinem Redeschwall ohne Unterbrechung fort. »Nicht aus Gold, na ja, aber vielleicht ist meiner ja noch viel wertvoller? Meine Freunde zum Beispiel, das ist doch ein echter Schatz; den möchte ich nicht gegen alles Gold der Welt eintauschen. Oder meine Wanderstiefel …«

In diesem Augenblick gab Dalin seinem Begleiter ein deutliches Zeichen, endlich still zu sein. Kalle gehorchte, aber er verstand nicht, was los war.

Stille. Nichts rührte sich. Das mit dem »Goldschatz« schien diesmal nicht zu funktionieren.

Der Zwerg zählte innerlich noch bis zehn, dann sagte er: »Es hat keinen Zweck. Lass uns wieder gehen. Wir müssen uns etwas anderes ausdenken.«

»Aber der Goldschatz?«, fragte der Bursche.

Kalle konnte sich noch immer keinen Reim darauf machen.

»Ich zeige ihn Dir unterwegs«, antwortete Dalin. Anschließend kletterte er wieder auf Kalles Schulter und sicherte sich mit dem Seil. Der Bursche gab seinen Wanderstiefeln ein kurzes Zeichen und schon starteten die beiden zur Rückreise.

»Ein seltsames Dorf, findest Du nicht?«, meinte Kalle, während ihnen der Wind ins Gesicht blies.

Es dauerte nicht lange, da erschien das Mühldorf nur noch als kleiner Hügel am Horizont. Dix und Dax hatten es offensichtlich eilig; sie wollten nach Hause.

Unsere Abenteurer sprachen nicht viel. Nur kurz dachte Kalle daran, den Zwerg noch einmal nach dem Goldschatz zu fragen, aber dafür wollte er nicht mehr anhalten. Kalle hatte seinen eigenen Goldschatz gefunden und diese Erkenntnis zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht.

Die Sonne stand gerade im Zenit am Himmel. Es war mittag und es war heiß, als unsere Abenteurer die Veranda erreichten. Die leere Veranda. Malle und Ralle waren auf dem Feld und Mallewutz und Balthasar noch in der Schule.

»Gerade rechtzeitig, um das Mittagessen zuzubereiten«, stellte Dalin fest. Langsam glitt er an Kalles Rücken herunter. Der Zwerg war sichtlich froh wieder festen Boden unter seinen Füßen zu haben und zu seiner eigenen Überraschung, freute er sich, wieder »daheim« zu sein.

Dalin hatte sich nicht nur gut erholt, während er bei den fünf Burschen zu Gast war; er musste sich jetzt eingestehen, dass er sich hier zuhause fühlte; ein kleines bisschen wenigstens. Dies war ein völlig neues Gefühl für unseren Zwerg und er versuchte es zu verbergen, so gut es nur ging.

Während Dalin also das Essen zubereitete, überlegte Kalle, ob er kurz beim Feld vorbeischauen sollte, um seinen Freunden zu helfen. Aber er wollte lieber bei Dalin bleiben und half ihm, den Tisch zu decken.

»Wolltest Du mir nicht noch den Goldschatz zeigen?«, fragte er den Zwerg.

Seine Neugier hatte gesiegt; nicht das Kalle gierig auf das Gold gewesen wäre, aber was es mit dieser Geschichte auf sich hatte, das wollte er schon gerne wissen.

Dalin lächelte.

»Es gibt keinen Goldschatz«, erklärte er. »Den habe ich erfunden. Obwohl ich schon einmal einen riesigen Goldschatz gesehen habe, aber das ist eine andere Geschichte.«

»Du hast den Schatz erfunden?«

Kalle war verblüfft. »Dann hast Du ja gelogen!«

»Das haben die Dorfbewohner vom Mühldorf doch auch«, stellte Dalin trocken fest. »Schließlich gaukelten sie uns vor, sie wären nicht da, oder?«

»Ja,  aber«, meinte Kalle; weiter kam er nicht.

»Und so wie sie uns vormachten, dass sie nicht da wären, so machte ich ihnen etwas vor, was den Schatz betrifft. Ich wollte sie damit aus ihren Verstecken locken. Verstehst Du?«

Jetzt endlich verstand Kalle. Dalin hatte versucht, den Dorfbewohnern eine Falle zu stellen. Das mit dem Schatz war nur eine List.

»Gute Idee«, sagte Kalle. –  »Schon«, antwortete Dalin. »Aber hier hat sie nicht funktioniert. Du musst wissen, dass nach meiner Erfahrung die meisten Menschen gierig sind. Und sobald sie etwas von einem Schatz hören …« Der Zwerg zuckte nur mit seinen Schultern und meinte: »Na ja, die Bewohner des Mühldorfs scheinen nicht gierig zu sein. Dann bekommen sie auch keinen Schatz.« – »Dafür hast Du jetzt keine Chronik«, stellte Kalle fest und hatte das Gefühl, dass ihre Mission fehlgeschlagen war.

Für Euch, liebe Kinder, ist es nun an der Zeit, ins Traumland zu reisen … Darum heißt es wieder:

»Gute Nacht und träumt recht schön, schon morgen wird es weiter gehen.«